Niederrhein-Jubiläum Gefühlt 100 Termine zu Hüschs 100.

Moers · Das Comedy-Arts-Festival Moers stellt eine große Gala zu Hanns Dieter Hüschs diesjährigem 100. Geburtstag auf die Beine. Von Jochen Malmsheimer bis Wilfried Schmickler werden herausragende Kabarettisten einem ihrer Größten am 11. Mai die Ehre erweisen. Und mit dem Duisburger Kai Magnus Sting ist auch ein waschechter Niederrheiner dabei.

„Auf dem Land gibt’s ja auch Leute, die interessiert sind“, sagte Rüdiger Eichholtz bei der Programmvorstellung und gab damit irgendwie auch ein gutes Motto zum „Hüsch100“-Jahr. Fürs Gruppenfoto war er aber zu spät.

Foto: pstmo

„Das kann man nicht schreiben“, sagte Hüsch mal, als er vom Niederrheiner erzählte und aber ablas. Beim Wiederhören und -sehen auf Youtube ist es jedenfalls doch sehr lustig. „Ich bin ja, soweit ich mich erinnere, der Sohn eines preußischen Obersekretärs aus Homberg am Niederrhein, das liegt gegenüber von Duisburg-Ruhrort, früher größter europäischer Binnenhafen, ja, wirklich“, beginnt Hanns Dieter Hüsch seinen Vortrag über „den Niederrheiner“, „aber was noch viel wichtiger ist: Ich bin auch gleichzeitig natürlich der Sohn einer niederrheinischen Gastwirtstochter.“ Die Gastwirtstochter sei ihm wichtig, sagt er, aber fast noch wichtiger scheint ihm die Feststellung, dass alles, was er tut und sei, „niederrheinisch ist“.

Dass umgekehrt Hüsch ja „alles gewesen“ sei: „Autor, Chansonnier, Kabarettist, Prediger - und Förderer der ganzen Szene“, eben ein großer Kollege – das sagt Kai Magnus Sting. Der hat gerade im Duisburger Theater am Marientor sein 30-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert, ähnlich stark besetzt wie die bevorstehende „Hüsch100“-Geburtstagsgala. „Es hätten noch Viele mehr sehr, sehr gerne mitgemacht“, erzählt Sting und meint die Hüsch-Gala, nur erlaubten es ihre Terminpläne nicht.

Lars Reichow hat Zeit und ist dabei. Sein Vater Bernd Reichow begleitete Hüsch Ende der 70er auf dessen Hagenbuch-Tour - Sting und Jürgen Pankarz sind sich nur nicht einig, ob als Trompeter oder Posaunist; Sting: „Schreiben Sie Blasmusiker“ -, 1982 war dann auch Lars Reichow dabei. Wie auch der Oberhausener Matthias Reuter steht Reichow für den musikalischen, den Chansonnier Hüsch. Jürgen Pankarz übrigens hat das Plakat gestaltet und zu vielen Büchern Hüschs kongeniale Zeichnungen beigesteuert. „Der konnte die Figuren sehr gut beschreiben“, erinnert er sich, „sturzbetrunken, aber kerzengerade ...“

Jochen Malmsheimer hat beim Tresenlesen von Anfang an nicht selten Texte von Hüsch dabeigehabt und wird, so Sting, bei der Gala vor allem dem Gesellschaftskritiker Hüsch seine Reverenz erweisen. Ähnlich Wilfried Schmickler: Der etwa aus den „Mitternachtsspitzen“ bekannte große Schimpfer fühlt sich vor allem dem politischen Hüsch der 1960er Jahre verbunden. Auch Erwin Grosche ist ein großer Hüsch-Fan - „und Hüsch war ein großer Grosche-Fan“, weiß wiederum Sting, weshalb Grosche als poetisch-lyrische Fortsetzung zu „Hüsch100“ beiträgt.

„Ohne Hüsch würde es mich nicht geben“, sagt Kai Magnus Sting über sich selbst. Zwar habe Hüsch seine Mutter nicht gekannt, aber schon beim ersten Anhören hat Sting gedacht: „Der muss bei uns zuhause im Schrank gesessen haben.“ Das hat er ihm dann auch erzählt, als er Hüsch persönlich kennenlernte und der große Kabarettist aus der kleinen Niederrheinstadt dann zum Mentor des kleinen Kabarettisten aus der großen Niederrheinstadt wurde. „Man muss nur am Niederrhein aufgewachsen werden …“ Duisburg, Moers - „uns trennt ein bisschen Rhein, aber sonst sind wir uns schon sehr ähnlich“, sagt Sting, der bei der Gala für den Niederrheiner steht, weshalb hier dann Hüschs berühmtestes Zitat angebracht ist: „Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.“

Neben der großen Gala listet das „Hüsch100“-Programmheft noch über 30 Veranstaltungen von über 25 verschiedenen Veranstaltungen auf. An 17 Veranstaltungen ist das Grafschafter Museum beteiligt, „da sind wir völlig verhüscht“, sagt Leiterin Diana Finkele und zählt auf: Freiheit - mit einem Freiheitsfest eröffnen am 4. Mai Marissa Möller und Jan Lammert das so überschriebene Themenjahr, „Freiheit!“ ist auch der Titel der Sonderausstellung im Grafschafter Museum zu Hüschs kulturellem Neuanfang 1945 mit dem Studio 45 und einigen schwarzen Schafen. Marissa Möller und Jan Lammert haben Lieder von Hüsch neu aufgenommen und stellen die „Niederrhein Odyssee“ am 24. April erstmals vor.

Vom Homberger Vater hatte Hüsch die Liebe zur Oper geerbt. Schon als Jugendlicher sah er sich im Theater Duisburg regelmäßig Vorstellungen der Rheinoper an; mit dem Beschluss, Opernregisseur zu werden, ging er dann nach Mainz, wo er aber immer weniger Vorlesungen hörte und immer mehr eigene Texte verfasste, um dann, wie „Spiegel Online“ mal schrieb, „der Mann“ zu werden, „der den Jazz in Worte fasste“. „Ach kuck mal, hat der auch beim Moers-Festival gespielt?“, fragt sich Moers-Festival-Leiter Tim Isfort angesichts eines Fotos, das Hüsch open air vortragend zeigt und im Schlosspark aufgenommen sein könnte, aber doch wohl eher bei einem evangelischen Kirchentag oder so entstanden ist. „Meine Mutter hat mein halbes Leben lang versucht, mir Hüsch nahezubringen, ich fand’s fürchterlich“, erzählt Isfort. Doch dann hat er beim Hören festgestellt: Das ist ja Freejazz. „Das ist, wie wenn Ornette Coleman und Don Cherry zusammen spielen oder meine Eltern gleichzeitig reden.“ Das Moers-Festival hat zum 99. schon gut vorgefeiert, und auch beim nächsten Pfingsttreffen der volkstümlichen Musik wird alles Hüsch mit Caspar Hüschmann, Kashiro Hüscho und Hayden Hüschholm in der Hannsi-Eventhalle und drumherum. Tim Isfort, der auf dem Friedhof in Duisburg-Baerl das Grab von Ditz Atrops gefunden hat, sucht übrigens noch Geldgeber für die längste niederrheinische Assoziationskette, die sich zum Festival durch Moers schlängeln soll.

Ebenfalls im Mai und zwar genau am 100. Geburtstag, dem 6. Mai, der auf einen Dienstag und damit Markttag in Moers fällt, gibt’s eben einen großen Hüsch-Markt, „Immer mittendrin“, mit Matthias Held an Hüschs Philicorda-Orgel und Moers-Improviser Bart Maris, mit literarischen Rundgängen und Rezitationen und niederrheinischen Spezialitäten aus der Suppenküche. Die Rezepte kann man sich ebenso mit nach Hause nehmen wie Briefmarken und andere Artikel, die Hüsch-Illustrator Jürgen Pankarz im Auftrag von Moers Marketing gestaltet. Und Pankarz‘ Aufsteller dürfen dann auch mal an die frische Luft. „Jetzt tauchen ja überall diese Männekes auf“, freut sich Moers‘ Bürgermeister Christoph Fleischhauer; Pankarz habe viel zum Hüsch-Wiedererkennungswert beigetragen.

Der Bürgermeister höchstpersönlich hat Wendelin Haverkamp zu einem „Hochamt ohne Weihrauch“ am 15. Juni im Rathaus überredet, Sonntagvormittag, wo zur Kirche ja auch keiner mehr geht ... Im Sommerkino gibt’s ein Best of Hüsch und Hildebrandt aus dem Scheibenwischer. Die von Hüsch angestoßene Gesellschaft zur Förderung des literarischen Lebens lädt zum Vorleseabend ein.

Leider nicht mehr stattfinden wird im Hüsch-100-Jahr der Kabarettnachwuchswettbewerb „Das schwarze Schaf“, den Hüsch 1999 ins Leben gerufen hatte und zu dem seitdem alle zwei oder drei Jahre zwölf Einzelkünstler oder Gruppen erst in den Vorrundenstädten Wesel, Emmerich, Krefeld und Moers und dann die vom Publikum bestimmten besten sechs beim großen Finale in Duisburg auftraten, wo der von der prominent besetzten Jury gewählte Sieger 6.000 Euro und eine Schwarze-Schaf-Skulptur aus der Hand des prominenten Jurypräsidenten entgegennehmen konnte. 2010 war Jurypräsident der damals auf dem Gipfel des TV-Ruhms stehende Entertainer Harald Schmidt, der, wie er damals sagte, nach Duisburg gekommen sei, um auch ein Stück vom Kulturhauptstadtkuchen abzubekommen, der sich aber auch dankbar an Hüsch und dessen große Unterstützung bei seinen, Schmidts, ersten Schritten als Kabarettist erinnerte. Als der Autor dieser Zeilen den Neue-Frankfurter-Schule-versierten Schmidt damals unter vier Augen auf Eckhard Henscheids Artikel – Schmidt: „Ja klar, ‘Der Allerunausstehlichste‘ …“ – ansprach, musste er, anders als Hüsch ein Vierteljahrhundert zuvor, trotzdem lachen … Jedenfalls wurde „Das schwarze Schaf“ mit Corona eingestellt und seitdem nicht wiederbelebt, obwohl das natürlich gut gepasst hätte, wie die Moerser Kulturbüroleiterin Eva Marxen findet.

Hüschs Witwe Christiane Hüsch-von Aprath freute sich bei der Programmvorstellung, dass darin nicht nur der Niederrheiner, sondern der ganze Hüsch abgebildet werde. Aber der zu allem unfähige Niederrheiner kommt natürlich auch reichlich vor. So erweist mit Konrad Beikircher zwar kein Niederrheiner, aber immerhin ein Berufsrheinländer Hüsch die Ehre: „Überleben, wat sonst?!“ Und Norbert Knabben versammelt am 13. Juni Vorleser und Musiker rund um Hüschs erstes Niederrhein-Gedicht „N’Abend zusammen“ von 1963, das sich im Original „Nahment zusammen“ schreibt, aber trotzdem ganz schön ist:

„Wenn die Männer vom Fahrrad / Die Finger noch rot vom Anstreichen Mennige / Vorstreichen bei Sachtleben / Oder auch auf der Hütte in Ruhrort / Dann wären sie gern noch schnell bei Borgards / Ein Bierchen trinken gegangen / Doch Gretchen Termöhlen hatte schon Erpelschlaat auf dem Tisch ...“