Das feine Spiel von Sein und Schein gehört zum Wesen des Theaters. Kobie van Rensburg bedient sich in seinen Inszenierungen gern der Videotechnik, um dieses Spiel zu modernisieren und zu perfektionieren. Das ist zu seinem Markenzeichen am Gemeinschaftstheater Krefeld-Mönchengladbach geworden.
Da entstehen auf riesigen Leinwänden oder transparenten Membranen im Vorder- oder Hintergrund der Bühne virtuelle Welten, die haptische Kulissen ersetzen. Wie in einem Kino erleben die Zuschauer „special effects“, die Mozarts liebliche Oper „Die Zauberflöte“ in eine „Star-Wars“-Adaption mit Weltraumreisen verwandeln. Inhaltlich durchaus schlüssig. Sind beide Vorlagen doch Märchen, in denen es um den Kampf von Gut gegen Böse geht.
Kameras haben auf einer Theaterbühne eigentlich nichts verloren. Aber bei Kobie van Rensburgs Inszenierungen gehören sie oftmals zur Ausstattung.
Denn er bedient sich gern auf offener Bühne der Bluescreen-Technik, die man von Nachrichtensendungen im Fernsehen kennt, wenn Sprecher, die eigentlich im Studio sitzen, in ein Hintergrundbild hineinprojiziert werden. „Unser Zuschauer erlebt eine Art Making of“, erklärt van Rensburg sein Konzept. Im unteren Teil der Bühne agieren die Opernsänger „real“ vor blauer Leinwand. Im oberen Teil laufen die computeranimierten virtuellen Bilder, in welche die Sänger per Rechner projiziert werden. „Sein und Schein treten miteinander in Wirkung“, erläutert der Videokünstler.
Der Fantasie bei der Gestaltung der bewegten Bilder ist keine Grenze gesetzt. Nicht selten erscheinen sie comicartig, erzeugen zuweilen helle und dunkle Atmosphären oder kommentieren durch Ironie.
Einen pfiffigen Kniff wendet van Rensburg besonders bei fremdländischer Sprache an: Während normalerweise am oberen Rand der Bühne ein Laufband die deutschen Übertitel anzeigt, projiziert der Regisseur die deutschen Texte gern in die Videobilder hinein. Dadurch fällt für das Publikum Hören, Sehen und Lesen in eins.
Eine verblüffende Lösung erlaubte die Videotechnik auch während des Corona-Lockdowns. Van Rensburg inszenierte passend zur Situation eine Opernzusammenstellung unter dem Titel „Die Seuche (The Plague)“ mit der Musik des Barockkomponisten Henry Purcell. Die virtuelle Animation wirkte perfekt wie ein Film. Die Zuschauer konnten das beeindruckende Werk von Zuhause aus per Internet streamen und erlebten neben der Musik und dem Gesang ganz großes Kino.
Kobie van Rensburg ist ein Multitalent. Bevor der gebürtige Südafrikaner 2002 hinter das Regiepult trat, hatte er bereits eine Karriere als Opernsänger absolviert. Der ausgebildete Tenor sang an so renommierten Häusern wie der Berliner Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper und sogar der Metropolitan in New York sowie in Portugal, Spanien und Frankreich.
Seine Erfahrung als Sänger kam ihm zugute, als er zur Regie wechselte. Seitdem inszenierte van Rensburg zahlreiche Opern an Theatern in ganz Deutschland. Am Gemeinschaftstheater Krefeld-Mönchengladbach setzte der Johannesburger, der fließend Deutsch spricht, unter anderem „Don Giovanni“, „Die Hochzeit des Figaro“ und jetzt ganz aktuell das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy in Szene.
Bei dieser Inszenierung zeichnet van Rensburg nicht nur für die Regie, sondern auch für die Bühne und die Kostüme verantwortlich; für die aufwendigen Video-Projektionen sowieso.
Da verwandelt sich auf transparentem Vorhang die Bühnenwelt in eine mittelalterliche Kathedrale, spielt sich biblisches Drama auf einem vernachlässigten Wohnwagenplatz ab und fährt der alttestamentarische Prophet Elias im amerikanischen Straßenkreuzer der 30er Jahre übers Land oder feuert gar aus einer Maschinenpistole auf seine Gegner. Wobei die realen Sänger nicht von der Bühne verdrängt sind.
Man geht sicherlich fehl in der Annahme, Kobie van Rensburg käme es in erster Linie auf den großen Effekt an. Wobei die ungewöhnlichen Bilder ihre Wirkung auf das Publikum natürlich nicht verfehlen.
Aber wie tiefgehend sich der Regisseur mit seinen Sujets inhaltlich beschäftigt, lässt sich an seiner letzten Arbeit des „Elias“-Oratoriums ablesen. „Es geht letztlich um die Frage, was Wahrheit ist“, beschreibt der Regisseur seinen Zugang zum Stoff. Diesen liefert das Alte Testament. Elias ist im Buch der Könige, geschrieben gut neunhundert Jahre vor Christi Geburt, ein Prophet. Er kämpft gegen den Götzenglauben und versucht, seine Mitmenschen vom wahren Gott Israels zu überzeugen.
Den Regisseur interessiert, ob Elias als Prophet eine Wahrheit erkennt oder nur seine subjektive Wahrnehmung für Wahrheit hält. Deshalb wird sein Elias gleich zu Beginn durch Gewalt am Kopf verletzt und kommt ins Krankenhaus. „Die Kopfverletzung wirft die Frage auf, wie intakt seine Wahrnehmung noch ist“, erläutert van Rensburg. Wird sie von seinem Glauben dominiert? Diese Frage beschäftigt van Rensburg auch persönlich: „Ich bin als Calvinist erzogen“, bekennt er, „beziehe meine Wahrnehmung aber gern auf empirische Fakten.“
Dieses fragile Spiel von Illusion und Wirklichkeit, Wahrheit und Täuschung scheint sich wie ein roter Faden durch die Inszenierungen des Künstlers zu ziehen. Die Videotechnik ist dabei Mittel zum Zweck. Illusion gehört zum Wesen des Menschen und des Theaters. Kobie van Rensburg weiß sie zeitgemäß zu bedienen.