Gescheckte Gärtnerinnen Rams Ziegen

Krefeld · Sobald sie Fußschritte auf dem knirschenden Kiesweg hören, heben sie die struppigen gehörnten Köpfe. Ihre schwarzen Ohren neugierig nach vorn gestellt, blicken sie den Besuch unverwandt an – die bernsteinfarbenen Augen mit den rechteckigen Pupillen bleiben unergründlich für den menschlichen Blick. Bisweilen wirkt es fast, als würden sie leise in sich hineinlächeln.

Rudger Rams ist gelernter Bootsbauer. Seit 15 Jahren arbeitet er im Team der Kulturfabrik und Natasha Rams arbeitet in Vollzeit als Bürokauffrau. Vor und nach dem Bürojob ist sie ganz und gar für ihre Tiere da.

Foto: Vertäll

TEUFELSTIER UND SÜNDENBOCK
Es verwundert nicht, dass Ziegen über die Jahrhunderte eine Unzahl mythologischer und kultischer Bedeutungen zugeschrieben wurde. In manchen Kulturen wurden sie mit übernatürlichen Mächten in Verbindung gebracht und als Opfertiere geschlachtet. Anderswo vermutete man hinter bestimmten Fellfarben Hexen oder gar den Satan. Dabei sind Ziegen alles andere als bösartig – und auch nicht blöd oder zickig, wie es das Portfolio unserer Beschimpfungen vermuten lässt. Im Gegenteil gelten sie als neugierig und schlau, verhalten sich sozial. Haben sie einmal etwas gelernt, vergessen sie es nicht mehr. Sie erkennen Gefühle von Artgenossinnen am Klang ihrer Rufe und verhalten sich dementsprechend. Ziegen bilden Freundschaften untereinander, auch mit Menschen interagieren sie zielgerichtet. Und: Ziegen sind vielseitige Nutztiere.

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Wie die gehörnten Paarhufer zusammenleben und wozu sie neben der Milch- und Fleischproduktion nützlich sind, können Naturfreunde seit einiger Zeit am Egelsberg beobachten. Hier weiden rund 75 Pfauenziegen und Braune Haarschafe, deren natürliches Fressverhalten eine ökologisch wertvolle Aufgabe erfüllt.

Der Egelsberg hat mit einer Herde Pfauenziegen nicht nur ausgesprochen schöne, sondern auch sehr nützliche neue Bewohnerinnen

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DIE ZIEGEN-WG
Natasha und Rudger Rams empfangen uns an einem launischen Oktobernachmittag am Rande des beliebten Naturschutzgebiets und führen uns, flankiert von ihren Hunden Neelix und Lahja, zu einem nahegelegenen Gehege. Hier weiden gerade die Böcke, ihre Bärte sind gelblich verfärbt und verströmen einen unverkennbar ziegigen Duft, den der Oktoberwind meterweit trägt. „Die sind gerade in der Brunft, was bedeutet, dass die sich anpinkeln, um besonders attraktiv zu riechen. Die Definition von attraktiv an der Stelle ist fragwürdig, wie ich finde“, sagt Rudger trocken, während die Böcke interessiert zum Zaun getrottet kommen. Ja, dieses Parfüm dürfte auf ihre Artgenossinnen durchaus Eindruck machen – intensiv ist es allemal. Und intensiv ist auch das „Kuschelnbedürfnis“ der Tiere, die sich direkt für Krauleinheiten um uns scharen.

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Ziegenböcke pflegen auch untereinander viel engen Kontakt. Dennoch herrscht innerhalb des Herdenverbandes eine klare Hierarchie, die regelmäßig neu ausgefochten wird. Im Moment hat der eindrucksvolle Nimba als Leitbock das Sagen, dessen prächtige, knotige Hörner und buschiger Bart ihm schon optisch eine gewisse Autorität verleihen.

Pfauenziegen hießen ursprünglich „Pfavenziegen“. Das Wort „Pfaven“ bedeutet Flecken und verweist auf die spezielle Gesichtsfärbung der Ziegen.

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Alle Tiere hören auf besondere Namen Neville, Neo, Raya oder Ringelblümchen. „Das sind offizielle Rassetiere, wir arbeiten mit Herdbuch. Da muss man ganz klar nachweisen können, wer die Eltern sind. Entsprechend sind die Namen immer abgeleitet vom Initial des Vater- oder Muttertiers, je nachdem, ob es sich um ein Böckchen oder ein weibliches Tier handelt. Manchmal ist es gar nicht so leicht, immer neue Namen zu finden“, erklärt Rudger und grinst. „Unser Anton zum Beispiel steht im Zuchtbuch als ‚V. Anton‘, weil sein Papa Victor heißt.“

Zwei kastrierte Böcke tragen als Gesellschaftstiere zu einer entspannteren Stimmung unter den Böcken bei. Kastrierte Ziegenmänner nennt man übrigens – wie passend – Mönche

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WIE PFAUENZIEGEN ZU IHREM NAMEN KAMEN
Welch großen Unterschied ein kleiner Buchstabe machen kann, zeigt sich auch im Rassenamen der Tiere: Der einprägsame Begriff „Pfauenziege“ geht auf einen Schreibfehler zurück. Ursprünglich hießen sie „Pfavenziegen“, abgeleitet vom rätoromanischen Begriff „Pfaven“ für „Flecken“, der sich auf die charakteristischen dunklen Streifen, im Gesicht der Tiere bezieht.

Neelix und Lahja begleiten Natasha und Rudger bei ihren täglichen Hirtenpflichten

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Die Rasse entstand im Schweizer Raum, vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Als ihr im Rahmen einer Rassen bereinigung Ende der 1930er Jahre die staatliche Förderungswürdigkeit abgesprochen wurde, drohte den Pfauenziegen das Aussterben. Einzig einigen Liebhabern, die sie dennoch weiter züchteten, ist ihr Fortbestehen zu verdanken. Bis heute gilt sie allerdings als seltene Art.Obwohl anfangs als Fleischlieferanten gezüchtet, kommen die robusten und zugänglichen Tiere heute vor allem in der Landschaftspflege zum Einsatz.

Inzwischen hat sich auch Schafbock Viktor zu unserer Gruppe gesellt. Mit etwas Abstand beobachtet er die Kuschelrunde seiner Mitbewohner und scheint noch nicht ganz zu wissen, was er davon halten soll. „Der hat ein Autoritätsproblem mit mir“, sagt Rudger. „Da muss man aufpassen, dass man den im Auge behält. Eine Ziege geht auf die Hinterbeine, wenn sie angreifen will, das merkt man rechtzeitig, weil die dann plötzlich 2,50 Meter groß ist. Aber der Schafbock nimmt den Kopf runter, den sieht man nicht kommen.“ Ein Altbock wie Viktor kann gut 100 Kilo auf die Waage bringen und wird mit Anlauf zur Kanonenkugel auf vier Beinen. Vorsorglich verlassen wir das Gehege und schlendern die sanfte Steigung des Egelsbergs hinauf, um den Damen einen Besuch abzustatten.

TIERISCHE LANDSCHAFTSPFLEGE FÜR BIODIVERSITÄT
Besonders in Naturschutzgebieten oder sensiblen Ökosystemen wie hier wird zunehmend auf spezielle Ziegen- und Schafsarten gesetzt, um unerwünschten Bewuchs durch invasive Arten im Zaum zu halten. Da Ziegen neben Kräutern und Gras auch Laub und sogar Rinde fressen, eignen sie sich hervorragend im Einsatz gegen ungewollte Verbuschung von Wiesen- und Heidelandschaften. Sie sind bisweilen sogar in der Lage, Gehölze nachhaltiger zu entfernen als es ein regulärer Beschnitt tun würde, da sie die Pflanzen bis auf Wurzelniveau abfressen. Gleichzeitig können sie auch auf unwegsamem Gelände eingesetzt werden und stören die restlichen tierischen Bewohner ihrer Weideflächen nicht.

Natasha und Rudger haben sich gerade zwei Ziegen als natürlichen Raubtierschutz für ihre Hühner im Garten angeschafft, als sie vor einigen Jahren im deutsch-holländischen Grenzgebiet auf dieses Konzept stoßen. „Da dachten wir: Warum passiert das eigentlich bei uns in der Ecke nicht? Also haben wir angefangen, uns schlau zu machen und entschieden, richtig in den Bereich einzusteigen“, sagt Rudger. Nach und nach erweitern sie ihre kleine Herde. „Als wir auf die Stadt Krefeld zugegangen sind, kam recht schnell der Egelsberg ins Gespräch.“

ZWISCHEN NATURSCHUTZ UND NAHERHOLUNG
Vor rund dreihunderttausend Jahren befand sich hier anstelle der Heidelandschaft der Rand eines gigantischen Gletschers, der an dieser Stelle Sand und Kies vom Rhein anhäufte. Dadurch entstand eine spezielle saure und mineralarme Bodenstruktur, die am Niederrhein sehr selten vorkommt. Das Gelände diente lange als Militärübungsareal, ehe es 1991 als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde. Aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit bildet der Egelsberg bis heute eine ökologische Nische für viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten.

Natasha und Rudger nehmen die Arbeit mit diesem besonderen Fleck Natur sehr ernst. Neben den regulären Vollzeitjobs sind sie jeden Tag mindestens einmal bei ihrer Herde, müssen ihre Gesundheit im Auge behalten, Reparaturen erledigen, regelmäßig umweiden und die Beziehung zu ihren Tieren pflegen. Gleichzeitig versuchen die beiden, für einen respektvollen Umgang mit dem Naturschutzgebiet zu sensibilisieren. Auf Schildern informieren sie über die Funktion der Ziegen als tierische Landschaftsgärtner, Natasha füllt außerdem eifrig einen eigenen InstagramKanal mit Eindrücken aus dem Herden-Alltag.

Bald sollen die Damen weiteren Zuwachs erhalten. Die kleine Egelsberg-Herde, verraten Natasha und Rudger, sei erst der Anfang ihres Projekts. Denn das Krefelder Naherholungsgebiet ist lange nicht das einzige schützenswerte Fleckchen Natur in unserer Region, das Pflege benötigt.

Wir haben den Kamm des Egelsbergs erreicht. Mit Blick auf den Flugplatz weiden hier die Ziegen- und Schafsdamen mit ihren Jungtieren. Für Flugzeuge scheinen sie allerdings wenig übrig zu haben, auch für Streicheleinheiten sind sie weniger empfänglich als ihre Männer – obwohl wir noch immer deren Brunftaroma wie einen Duftbrief mit uns herumtragen. Spannender finden sie die Kameralinse unseres Fotografen, der sie sich immer wieder interessiert nähern. Fast als wüssten sie, dass sie als Positivbeispiel für Naturschutz in der Zeitung landen sollen.