Katrin und Marcel, Warum brauchen wir dritte Orte?

Krefeld · Katrin Mevißen und Marcel Beging haben sich in den letzten Jahren einen Namen in Krefeld gemacht. Sie gehören zu denjenigen, die den freischwimmer e.V. gegründet und damit die Initiative zur Revitalisierung des Alten Stadtbads durch die Bürgerschaft angestoßen haben. Für Katrin und Marcel ist dieses Projekt zum Fulltime-Job geworden. Und zur Inspiration für eine berufliche Neuausrichtung: Die beiden gehören zu einer speziellen Gruppe Expert*innen, die sogenannte „dritte Orte“ entwickeln, also Räume abseits des Lebens- und Arbeitsumfeldes. Warum wir solche Orte brauchen, wie sie entstehen und woran man erkennt, dass ein dritter Ort gut funktioniert, haben die beiden uns im Interview erzählt. Ein Gespräch über Verantwortungsgemeinschaften, Beteiligungsprozesse und die Kraft der Selbstwirksamkeit.

Foto: RBAV

Katrin und Marcel, man kennt euch als Mitgründer und Gesichter des freischwimmer e.V. Als Agentur SP!N habt ihr euch auf die Entwicklung dritter Orte spezialisiert. Ist das aus dem Stadtbad-Projekt entstanden?

Katrin Mevißen (KM): Ja. Am Stadtbad- Projekt interessierte mich, wie man von Null an, mit allen Unbekannten und Risiken, ein Verfahren zusammen entwickelt, das ausschließlich vom Engagement der Bürgerschaft ausgeht.

Marcel Beging (MB): Die Frage damals war, ob und wie man in der heutigen Zeit eigentlich noch richtig wirksam für seine Stadt werden kann. Und das Stadtbad ist ein spektakuläres Medium für eine Antwort darauf. Wir wollten, dass es endlich wieder zugänglich wird und einen sinnvollen Nutzen für die Menschen bekommt. Auf dem Weg haben wir beide uns dann entschlossen, dass wir das obligatorische „Nein, das geht nicht…“, das Entscheiderinnen und Entscheider über den öffentlichen Raum Initiativen oftmals entgegensetzen, in ein konstruktiveres „Ja, wenn…“ verändern wollen.

Was genau sind eigentlich dritte Orte?

KM: Kurz gefasst sind das Orte, Räume oder Umgebungen, die Gemeinschaft oder ein gutes Miteinander fördern. Aus unserer Sicht müssten dies eigentlich die ersten Orte sein, noch vor dem Zuhause und der Arbeit. Dort findet Gesellschaft in ihrer besten Form statt, nicht nur für Freizeitaktivitäten, sondern auch, um produktiv für das Gemeinwohl sein zu können. Und warum brauchen wir solche Räume?

MB: Unsere gesellschaftliche Mitte benötigt solche Orte, um sich immer wieder neu zu finden und zu erfinden. Insbesondere in Zeiten von zunehmender Isolation und Demokratieferne. Während sich die Welt um uns herum immer schneller verändert, braucht es stärkere Zusammenarbeit. Wenn ein Ort entwickelt wird, der das ermöglicht, ist das sicher ein sehr komplexes Verfahren.

Welche Hürden gilt es dabei zu meistern und wo können Konflikte entstehen?

KM: Konflikte gibt es auf allen denkbaren Ebenen. So ein Ort, wie wir ihn entwickeln, hat oftmals keine Vorgeschichte mit einer zivilgesellschaftlichen Form der Engagementkultur. Die lösen wir erst aus. Und in dem Moment, wo das dann wirklich öffentlich wahrnehmbar wird, beziehen Menschen und Institutionen Position dafür oder dagegen. Umso wichtiger ist es, eine Teilhabeform an so einem Verfahren bereitzustellen, die alle zu einer konstruktiven Mitarbeit motiviert.

MB: In der Regel ist es noch ein Problem, dass man für den öffentlichen Raum gar nicht erwägt, die Zivilgesell schaft als Entwickelnde und auch Betreibende heranzuziehen. Noch ist es so, vor allem bei Kommunen, dass man schwierige Räume gerne eher loswerden möchte. Hauptsache weg mit den Kosten. Das kann man aber auch „inhouse“ mit seiner eigenen Zivilgesellschaft vor Ort lösen, auch ökonomisch, mit einer Gemeinwohlorientierung.

Wie funktioniert es, dritte Orte im Sinne der Bürger*innen zu entwickeln?

KM: Indem man Bürgerinnen und Bürger endlich selbst machen lässt. So einfach ist die Antwort, so kompliziert und individuell ist der Weg dahin. Dabei kommt es nicht in erster Linie auf das Startkapital an, sowas lässt sich auf dem Weg meistens mit klären, sondern auf die Möglichkeit, überhaupt etwas im öffentlichen Raum gestalten zu dürfen. Stichwort „machen lassen“. Wie entwickelt man Partizipationsprozesse so, dass sie funktionieren?

MB: Für uns geht es darum, eine möglichst hohe Offenheit und Niedrigschwelligkeit herzustellen. Dafür muss man zuerst wissen, ob ein Projekt nur in definierten Teilen mitbestimmbar ist oder ob man sich in einem sehr offenen Prozess befindet. Dann ist das „Wie“ entscheidend. Risiken des Scheiterns in der Umsetzung müssen vorab allen bekannt sein, um Enttäuschungen möglichst zu vermeiden. Von den Leuten, die partizipieren, braucht es dann eine Offenheit und Akzeptanz dafür, dass nicht alles möglich ist, was sie persönlich umgesetzt haben möchten. Es gibt klare Rollenverteilungen in der Verantwortungsübernahme, und Fehler müssen möglich, aber auch korrigierbar sein im Umsetzungsprozess.

Auf eurer Homepage schreibt ihr, Willensbildung zwischen Gesellschaft, Politik und Verwaltung sei immer asymmetrisch. Gleichzeitig fordert ihr „ernst gemeinte Gleichberechtigung“. Wie ist das zu verstehen?

KM: Alle Projektinitiatorinnen machen sich voneinander im besten Sinne abhängig und damit auch verantwortlich für diese Gleichberechtigung. Das muss erst mal allen hinter den netten Worten, die man immer wieder austauscht, klar sein: Man wächst zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, die für dieselbe Sache eintritt. Auf dem Weg ist es schön, an einem tollen Projekt zu arbeiten, aber auch in der Praxis sehr anstrengend, worüber selten gesprochen wird. Letztlich arbeiten alle genannten Akteure in einem eigenen Kosmos mit jeweils anderen Sichtweisen und Geschwindigkeiten.

MB: Gerade deshalb muss man auf Augenhöhe zusammenarbeiten können, niemand hat mehr Macht über das Projekt als die anderen Akteure. Wie schafft man diese Augenhöhe? MB: Wir stellen dafür die entsprechende Arbeitsplattform her, die alle freundlich dazu zwingt, die Position des anderen zu kennen und zu berücksichtigen, ohne den anderen in seinem fachlichen Handeln oder seinen Kompetenzen permanent herauszufordern. Vor dem Anfangen richtig anfangen, das ist die Devise. Mit dem Beginn eines Projekts sollen alle Akteurinnen und Akteure, noch vor allen technischen und organisatorischen Fragen, eine Verständigung über die inhaltlichen Ziele und die Art der Zusammenarbeit erreicht haben. In diesem Vorfeld fängt unsere Arbeit an. Es schwirren anfangs sehr viele bekannte und vor allem unbekannte Interessen herum, die sich häufig im Verlauf eines Projekts als problema- tisch und hinderlich darstellen. Unsere Methode hilft, bestmöglich eine verbindende Idee des Ganzen herauszuarbeiten, hinter der sich alle Interessen produktiv einreihen können. Und wir beziehen immer die Öffentlichkeit in die Ausarbeitung von Nutzungen mit ein, das hilft allen, Kurs zu halten. Ihr sprecht im Rahmen der paritätischen Projektentwicklung davon, dass mitwirkende Bürger*innen unmittelbare Selbstwirksamkeit erfahren sollen.

Wie ermöglicht man das in einem Projekt, das noch in den Kinderschuhen steckt?

KM: Das Anpacken gehört mit zu den Grundprinzipien unserer Arbeit. Im Rahmen der Vorarbeiten, die schon angesprochen wurden, identifizieren wir, wo es sofortige Möglichkeiten gibt, mit den eigenen Fähigkeiten in den Raum oder die Fläche einzugreifen und etwas herzustellen, das unmittelbar eine Verschönerung oder Verbesserung der Nutzung ermöglicht. Mit dem eigenen Einsatz einen neuen Wert zu schaffen, ist für sich selbst und für alle anderen Menschen, die das Ergebnis wahrnehmen, super motivierend.

Gibt es in Deutschland Beispiele für richtig gute dritte Orte? MB: Die Liste wäre sehr lang, denn es gibt nicht unbedingt ein typisches Muster für den Dritten Ort schlechthin. Vielleicht dürfen wir hier die Leserinnen und Leser einladen, darüber nachzudenken, wo man viele Menschen an einem öffentlichen Ort ohne besondere Veranstaltungen antrifft, die dort verweilen und unaufgefordert miteinander in Kontakt kommen. Das ist ein guter Dritter Ort beziehungsweise ein Ort, der diese Qualitäten schon in sich trägt.

Ein neuer dritter Ort in Krefeld ist gerade in Entstehung: das „Deck“, das ihr in Kooperation mit der Stadt Krefeld entwickelt. Was ist das für ein Ort?

KM: Das Deck befindet sich direkt neben dem Bleichpfadhochhaus, auf einer Dachfläche eines Parkplatzes. Ein toller, noch leerer Raum, der zum eigenverantwortlichen Gestalten und Entwickeln einlädt. Er war seit Jahrzehnten ungenutzt. Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, und es war klar, dass wir diesen Raum mit den Anwohnenden entwickeln, aber auch für Dritte nutzbar machen wollen. Das konnten wir in die gleichzeitig durch die Stadt Krefeld als Sport- und Bewegungsquartier einflechten.

Wie habt ihr die Bewohner*innen des Bleichpfadhochhauses aktiviert und wie haben sie sich ins Projekt eingebracht?

MB: Wir haben eine Umfrage an den Wohnungstüren durchgeführt und mit der Hilfe der Stadt sogenannte Bewegungslotsen ausgebildet, die für uns persönliche Gespräche über Nutzungsideen durchgeführt haben. Dazu gehört auch eine Einladung, die Fläche mit eigenem Engagement vorzubereiten, mit der konkreten Aussicht, die Auswertung der Umfrage auf der Fläche auch möglichst zügig umzusetzen. Dort, wo ehrenamtliches Engagement im weiteren Verlauf an seine Grenzen stößt, versuchen wir mit Drittnutzenden, der Eigentümerin und Institutionen personelle und technische Wege der Unterstützung zu finden. Zentrales Element ist aber immer die Selbstverwaltung der Anwohnenden.

Was geschieht als Nächstes mit dem Ort?

KM: Erst mal versuchen wir, das Deck noch besser technisch zugänglich zu machen und den Anwohnenden die Möglichkeiten zu geben, die Wünsche der Mitnutzung auch in einem eigenen Bereich der Fläche umzusetzen. Das passiert jetzt in der zweiten Jahreshälfte und soll im Sommer 2026 abgeschlossen sein. Erste Vereine und Institutionen wollen die Fläche in Zukunft für Gruppenaktivitäten nutzen. Gleichzeitig beginnt auch schon das Pflegen der Fläche mit den Anwohnenden. Die Idee der Nutzungsmöglichkeit im eigenen Interesse, kombiniert mit der weiteren Öffnung für Dritte, wird dieses Jahr also schon eingeübt und verbessert.