Und an all die Abermillionen Welten, die sich Abermillionen kreative Köpfe noch ausdenken werden. Solche Welten Wirklichkeit werden zu lassen, ist die Aufgabe der Theaterwerkstatt.
DETAILARBEIT IM XXL-FORMAT
Dirk Peltzer würde die Arbeit seines Teams vermutlich etwas pragmatischer beschreiben. Nichtsdestotrotz kann und will der Chef des zwanzigköpfigen Teams seinen Stolz nicht verhehlen, wenn er Besucher*innen durch die Werkstätten an der Ennsstraße führt.
„Wir sind hier ein richtig cooler Laden, mit wirklich guten, kreativen Leuten“, sagt der gelernte Tischlermeister beim Rundgang durch seinen Wirkungsort. Schon seit 30 Jahren arbeitet Dirk am Gemeinschaftstheater, seit 2004 ist er in der Werkstatt zu Hause. In jeder Ecke des hellen, weitläufigen Gebäudekomplexes ist etwas los. Was hier in Schlosserei, Schreinerei, Plastik und Malsaal in präziser Fein- und wochenlanger Fleißarbeit entsteht, würden die meisten Menschen ohne Übertreibung Kunst bezeichnen. Im Malsaal etwa nimmt gerade ein etwa drei Meter großer Jesus Christus Gestalt an. „Das sind die Kleinformate, mit denen unsere Azubis üben. Wenn die hier Prospektmalerei machen, sind die Leinwände sechs, sieben Meter hoch und 13, 14 Meter lang. Da kannst du hier zwei Stück von hinlegen, dann ist der Laden voll“, erzählt Dirk. Als Prospekte bezeichnet man die gemalten Bühnenhintergründe. Bei ihrer Arbeit scheuen die Malerinnen auch keine Sisyphusaufgaben: ob gemalte Haarrisse in der gemalten Glasur einer gemalten Fliese, prunkvolle Ornamente auf Tapeten, Gesichter, Haare, Schweißperlen und Tränen entstehen hier mit präzisesten Pinselstrichen.
Nicht weniger detailreich ist das, was in der Theaterplastik Gestalt annimmt: Hier wird alles konzipiert und hergestellt, was geformt werden muss.
Riesenschuhe, Riesenblüten, Statuen, Büsten – es gibt praktisch nichts, was nicht aus Styropor, Keramik, Holz, Gummi, Plexiglas, Schaumstoff oder Gips modelliert werden kann. Aktuell werden verschieden große fleischfressende Pflanzen für „Der kleine Horrorladen“ angefertigt, die von einem Puppenspieler bedient werden sollen. „Die kleinste spielt er noch mit der Hand, in der ‚ausgewachsenen‘ Pflanze kann er drinstehen“, erklärt Dirk.
musikalischen Bearbeitung von Charles Gounod unter der Regie von Jan Eßinger spielt sich zwischen den historischen Fliesen eines alten Schwimmbads ab. Sich auf eine neue Liebe einzulassen, hat ja durchaus etwas vom Sprung ins kalte Wasser. So werden die Liebesschwüre des titelgebenden Teenagerpaares statt am Balkon vom Sprungbrett herunter ausgetauscht.
ZWISCHEN KREATIVITÄT UND FLEISSARBEIT
Bei aller eigenen Kreativität sind die Mitarbeitenden der Theaterwerkstatt vor allem Dienstleister für die Visionen anderer und müssen präzise umsetzen können, was von Regie und Bühnenbildner*innen vorgegeben wird. „Das ist die Kunst an dieser Arbeit. Die Bühnenbildner kommen von außerhalb und entwickeln mit der Regie die Idee, wie die Inszenierung auf der Bühne gestaltet werden soll. Das geben sie dann in Form von Modellen und technischen Zeichnungen an uns weiter“, sagt Dirk. Seine Aufgabe ist es, die kreativen Träume auf Herz, Nieren und Bezahlbarkeit zu prüfen. „Ja, ich bin leider auch manchmal der Böse, der sagen muss, dass eine Idee so finanziell nicht passt oder sich handwerklich nicht umsetzen lässt.“ Um möglichst alle gestalterischen Wünsche möglich zu machen, telefoniert Dirk auch schon mal in ganz Europa herum.
So etwa bei den Bühnenarbeiten zu „La Traviata“. Für die fulminante Verdi-Oper wünschten sich Regie und Bühnenbildner einen gigantischen eingeschlagenen Spiegel als Bühnenhintergrund. Um diese Optik mit dem erwünschten 3D-Effekt zu erzeugen, bediente sich Dirks Schlosser-Team eines Tricks: Die Risse in der Scheibe wurden mit einem speziellen Metallband modelliert. „Davon fehlten dann allerdings kurz vor knapp neun Meter
und keiner konnte die liefern“, sagt der Werkstattchef. Allein seinen langjährigen Kontakten hatte er es zu verdanken, dass die optische Täuschung am Ende doch noch fertiggestellt werden konnte, um als unheilvolles Sinnbild der gebrochenen Frau über den Sänger*innen zu schweben.
MONTAGUES UND CAPULETS IM SCHWIMMBAD
Für eine weitere Oper hat das Werkstattteam gerade die letzten Arbeiten beendet: Romeo und Julia in einer
In knapp drei Monaten hat das Werkstatt-Team im Akkord die Badeanstalt nach Vorgaben der Bühnenbildnerin Benita Roth umgesetzt – mit Patina an den Wänden, historisch anmutendem Putz, alten Spinden, Ornamenten, alten Fliesen und schmiedeeisernen Geländern. Wer sich die Inszenierung ansieht, sollte einmal nach den liebevollen Details wie dem Löwenkopf-Wasserhahn in der Dusche Ausschau halten.
Als Shakespeares Liebesdrama Ende des 16. Jahrhunderts Premiere feierte, hätte sich Englands Nationaldichter sich sicher nicht träumen lassen, wie oft und in welch mannigfaltigen Varianten sein bekanntestes Stück noch auf den Bühnen dieser Welt erscheinen würde. An ein täuschend echtes Schwimmbad als Schauplatz anstelle der Stadt Verona hätte er sicher nicht gedacht. Zu seiner Zeit mussten die Szenerien des Theaters noch allein durch Sprache im Kopf des Publikums entstehen – denn Weltenbauer wie Dirk Peltzer und sein Team gab es damals noch nicht.