Freie Waldorfschule Krefeld Vom Namen tanzen

Krefeld · Waldorfschüler*innen sind doch die, die lernen, ihren Namen zu tanzen. Sie lernen nicht ordentlich Mathematik und Deutsch und haben keinen richtigen Abschluss. Die Vorurteile, mit denen sich das Team der Freien Waldorfschule Krefeld immer wieder auseinandersetzen muss, sind vielfältig. Dabei ist die Schule, die bereits seit 1947 besteht und damit zu den ältesten Waldorfschulen Deutschlands gehört, so viel mehr.

„Die Kinder sollen Zeit haben, sich zu entwickeln und ihre Stärken zu entdecken.“ Sina Echterhof

Foto: vertäll

EIN BLICK HINTER DIE KULISSEN
Als ich mein Auto in der Tiergartenstraße parke und durch das gusseiserne Tor gehe, kommen mir lachende Kinder entgegen. Laut werden Verabredungen gemacht und Erinnerungen für den nächsten Tag getätigt. Über den Schulhof laufen noch vereinzelt Schüler*innen. Ich erinnere mich zurück an meine Kindheit und meine Jugend. Die Jahre zwischen acht, neun und 14, 15 waren anstrengend. So viel Neues prasselt in dieser Zeit auf Heranwachsende ein. Als „Großbaustelle“ bezeichnet zum Beispiel der WDR das Gehirn der Jugendlichen. Erfahrungen, die in dieser Zeit gemacht werden, können prägend für das gesamte Leben sein, weswegen Erziehungsberechtigte und Lehrer*innen eine enorme Verantwortung tragen. Wie kann diese wichtige Zeit also mit Erinnerungen gefüllt werden, die positiv sind? Wie kann ein Ort geschaffen werden, der Sicherheit, Stabilität und einen Raum zur Entwicklung aller Fähigkeiten gibt?
Ich bin verabredet mit Sina Echterhoff. Die 47-jährige Krefelderin, die sich die Vorstandsarbeit mit Meike Froebe teilt, kennt das Leben und Lernen innerhalb einer Waldorfschule nicht nur aus ihrer hauptamtlichen Vorstandsarbeit, sondern auch aus der Sicht eines Kindes. Echterhoff war selbst auf einer Waldorfschule (in Hannover) und weiß, wovon sie spricht, wenn sie darauf hinweist, dass die positive Lernatmosphäre hier eine hohe Priorität hat: „Die Kinder sollen Zeit haben, sich zu entwickeln und ihre Stärken zu entdecken.“ Echterhoff hat 15 Jahre lang in der Industrie gearbeitet, bevor sie wieder zurückgegangen ist an den Ort, der ihr viele positive Erinnerungen geschenkt und ihr Leben beeinflusst hat.

WAS MAN AUF DER WALDORFSCHULE LERNT
Durch die Vereinsstruktur – Froebe und Echterhoff sind geschäftsführende Vorstände, daneben gibt es eine pädagogische Leitung und Gremien, in denen Entscheidungen selbstverwaltet gefällt werden – bestehe die Chance, Schwerpunkte anders als an Staatsschulen zu setzen: „Wir haben hier mehr Freiheiten und Gestaltungsspielraum, müssen aber natürlich trotzdem gewisse Lerninhalte vermitteln, da am Ende die gleichen Abschlussprüfungen wie an anderen Schulen anstehen“, erklärt Sina Echterhoff. Das Vorurteil, dass die Abschlüsse nichts wert seien, sei deshalb grundlegend falsch: „Wir bieten unseren Schüler*innen zahlreiche Abschlussmöglichkeiten an. Vom ersten Schulabschluss, bei uns nach der 11. Klasse, über die Fachoberschulreife bis hin zum Abitur. Die Abschlüsse sind identisch mit denen an den anderen Schulen und ebenfalls zentral gestellt.“
Ebenso falsch ist das Vorurteil, dass nicht fundiert Mathematik oder Deutsch gelehrt wird. Es wird lediglich anders gelehrt: „Wir arbeiten mit dem Epochenunterricht, indem die Schüler*innen der 1. bis 7. Klasse zwei Stunden täglich und über drei Wochen hinweg ein Fach vertiefen. So wird zum Beispiel jeden Tag vom Klassenlehrer oder der Klassenlehrerin Mathematik unterrichtet. Das erlaubt ein viel tieferes Eintauchen in den Lernstoff und gibt Klarheit und Orientierung“, so Echterhoff. Auch in den Jahrgängen 8 bis 13 wird in Epochen unterrichtet, dann jedoch von den jeweiligen Fachlehrer*innen. Durch den sogenannten vertikalen Lehrplan werde die Verknüpfung von Lehrinhalten fächerübergreifend fokussiert: „Wenn zum Beispiel Bruchrechnung in Mathematik durchgenommen wird, beschäftigen sich die Schüler*innen in Musik mit den Notenwerten. So wird mit ein[1]fachen Mitteln verdeutlicht, wie komplexe Verhältnisse zusammengehören“, erklärt die Vorständin der Freien Waldorfschule Krefeld e.V.

BENOTUNG MAL ANDERS
Besonders der Leistungsdruck, der an Regelschulen oftmals bereits nach der 3. Klasse aufgrund der Zeugnisnoten und der damit verbundenen Einstufung in die weiteren Schulformen bestünde, falle an der Waldorfschule weg. Die Schüler*innen besuchen hier die 1. bis 13. Klasse und erhalten zunächst Zeugnisse mit Texten. Erst ab der 9. Klasse werden Orientierungsnoten vergeben: „Die Kinder haben so viel mehr Zeit, sich ohne Ängste und Druck zu entwickeln. Das Erlebnis, nicht gut genug fürs Gymnasium zu sein, entfällt. Stattdessen können sich die Kinder auf ihre Fähigkeiten konzentrieren.“

PRAKTISCHE FÄHIGKEITEN
Die Entfaltung der verschiedenen Stärken wird aufgrund der Vielzahl an Angeboten der Waldorfschule bestmöglich unterstützt. So lernen die Schüler*innen in praktischen Unterrichtsfächern wie Schreinern, Schneidern, Bildhauen oder Hauswirtschaft nicht nur Sachen fürs Leben, sondern erkunden auch eigene Vorlieben. Ein Gewinn, der die Kinder quer durchs Leben begleitet. „Sie lernen Basics, zum Beispiel wie man einen Knopf annäht, aber erschaffen auch eigene Kunst- und Werkstücke, die am Ende in einer Vernissage präsentiert werden“, erklärt Sina Echterhoff. Auch in der Waldorfschule Krefeld gibt es das Angebot eines offenen Ganztags, das unterteilt ist in die Panama-Klasse 1-4 und Madagaskar-Klasse 5-7. Dort werden die Kinder täglich bis 16:30 Uhr betreut und können das Bio-Essen aus der eigenen Schulküche genießen. Zusätzlich wird das praktische Wissen in verschiedenen Praktika vertieft, bei denen im Forst, auf einem Bauernhof, in einem sozialen Betrieb oder auch in der Schulküche „Lebensrealitäten vermittelt und kennengelernt werden“, so die 47-Jährige. Auch Musik nehme einen wichtigen Platz im Lehrplan ein. Neben dem Erlernen der Blockflöte, bekommt jedes Kind die Möglichkeit, ein weiteres Instrument zu erlernen. Vertieft werden können die Kenntnisse zudem im Orchester. Und wie ist es nun mit dem Namen tanzen? Sina Echterhoff schmunzelt: „Im Bereich Eurythmie lernen die Kinder, verschiedene Laute mit Bewegungen zu verknüpfen. Aber nicht nur das. Sie lernen auch, sich gleichzeitig in einer Gruppe zu bewegen und Impulse gemeinsam zu gestalten.“
So wird aus dem viel zitierten „Namen tanzen“ ein sozialer Akt an einem Ort, an dem sich Heranwachsende sicher bewegen und frei und ohne Druck entfalten können.