Interview Erik Schmid, welche Aufgabe hat Design?

Krefeld · Designer*innen strukturieren, konzeptionieren, kolorieren. Produkte, Kleidung, Marken, Möbel – aber auch öffentliche Räume, Plattformen, Medien. Sie entwickeln Formen, die sprechen, die ein Ziel verfolgen, und gestalten so an allen erdenklichen Ecken unsere Welt mit. Aber wie lernt man das? Und welche Verantwortung geht mit einem Beruf einher, der sich so unmittelbar auf den Menschen und seine Lebenswelt fokussiert? Wir haben mit Erik Schmid, Dekan des Fachbereichs Design an der Hochschule Niederrhein, über das Verstehen, Vermitteln und Verantworten von Design gesprochen.

„Etwas toll zu finden, ist ganz einfach. Etwas scheiße zu finden, ist auch ganz einfach. Aber eine Beziehung zu gestalten, das ist Königsdisziplin. Zwischen Menschen und zwischen Menschen und Dingen. Und deshalb vertrete ich relationales Gestalten. Das ist eine Methode, die mehr Nachhaltigkeit produziert.“

Foto: vertäll

Erik, du bist Design-Dekan, hast aber etwas ganz anderes studiert, nämlich Kunstgeschichte, Musik, Psychologie und Philosophie. Wie bist du von da zum Design gekommen?
Über die Architekturgeschichte und Architekturtheorie. Die Architektur ist die öffentlichste und alltäglichste aller Künste und hat als solche eine ganz große Nähe zum Design. Die künstlerische Ausdrucksweise und ästhetische Wirksamkeit von Design finden, wie auch die der Architektur, im Alltag und in der Öffentlichkeit statt. Designer*innen wie Architekt*innen sind Kuratoren des Alltags.

Du vermittelst Theorien zum Design. Was kann man als Laie darunter verstehen?
Dass jedes Gewerk eine Bedeutung hat und eine Reflexion, eine Einordnung, einen inneren Kompass und eine Verbindung zum Rest der Welt braucht, sich Fragen der Ästhetik, Fragen der Geschichte von Design, Fragen der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Design stellen muss. Wir sollten im Grunde nie handeln, bevor wir die Theorie dazu nicht verstehen. Designtheorie liefert das Werkzeug dafür.

Erik Schmid ist seit 1997 in der Hochschullehre tätig und arbeitet seit gut 20 Jahren an der Hochschule Niederrhein. Neben seiner Professur für Theorien zum Design engagiert er sich als Host der DesignDiscussion, bei der er Menschen aus verschiedensten Arbeitsbereichen nach ihrem kreativen Schaffen befragt.

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Design kann so vieles bedeuten. Wie vermittelt man jungen Menschen, die es aus der Schule gewohnt sind, konkrete Themen mit bestimmten Gültigkeiten zu erlernen, einen Bereich, der so vielfältig ist? Wie führt man Menschen dahin, sich darin zurechtzufinden?
Zuerst machen wir eine künstlerische Eignungsfeststellung. Wir gucken, ob das überhaupt etwas für dich ist. Bist du bereit, dich zu entwickeln? Hast du Lust, dich in einem unbekannten Terrain zu bewegen? Hast du eine Fähigkeit, dich gestalterisch auszudrücken? Egal, ob du jetzt eher plastisch gestaltest oder zeichnerisch oder filmisch oder digital oder wie auch immer. Und wenn dieser Ansatz da ist, dann müssen wir zwei Dinge tun: Wir müssen diese Menschen auf dem Weg zu sich selbst fördern und befähigen, sich gestalterisch-professionell auf diese Welt einzulassen. Und wir müssen sie auf diesem Weg verantwortungsvoll und mitmenschlich begleiten. Sie legen einen bedeutenden Teil ihres Lebens in unsere Hände. Ich sage gern: Wir versuchen, sie konstruktiv zu verunsichern. Design ist wahnsinnig diskursintensiv.

Erik Schmid hat etwas übrig für gelungene Wortkonstrukte – und er baut sie auch selbst. Er war lange journalistisch tätig und schreibt nach wie vor eigene Texte.

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Mit welchen Vorstellungen kommen denn junge Menschen zu euch an die Hochschule?
Sehr unterschiedlich, weil es ja auch sehr unterschiedliche Vorbilder gibt: künstlerische Vorbilder, Vorbilder in der Werbung, Vorbilder im Bereich der interdisziplinären Arbeit, Illustration, des Social Designs, des klassischen Print-, Objekt- oder Industriedesigns, in den Medien und im Gaming. Einige wollen mehr so ihre künstlerische Art entwickeln. Andere wollen einen interessanten, coolen Beruf erlernen. Wieder andere wollen etwas entwerfen, aber haben keinen Bock auf Mathe und vertrauen der Entwicklung der eigenen kreativen Substanz in der Gemeinschaft. Aber den meisten ist gemein, dass sie sich auf sich selbst und die Welt fragend und mit ästhetischen Mitteln suchend einlassen wollen.

Erik Schmid ist nicht nur als Designdekan bekannt, sondern auch als leidenschaftlicher Pianist, der regelmäßig Stummfilmklassiker vor Publikum live vertont.

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Wer den Weg der Entwicklung noch weiter gehen möchte, kann bei euch einen Master absolvieren. Der ist sehr offen angelegt. Man muss zum Beispiel keinen Bachelor in Design haben, um sich erfolgreich bewerben zu können. Warum?
Ganz einfach: In diesem Master statuieren wir ein Exempel dafür, wie Design idealerweise funktioniert in dieser Gesellschaft, nämlich multidisziplinär, für unsere Zukunftsgestaltung. Und da die Probleme, die wir heute lösen müssen, keiner alleine lösen kann, braucht es die Kooperation mit anderen. Unsere Masterabsolventen werden zu guten Zuhörern ausgebildet, die sich in komplexen Kontexten gut zurechtfinden, teamorientiert arbeiten können und ihre speziellen Designfähigkeiten in diesen Kontexten platzieren. Sie lernen Vorläufigkeitskompetenz, Unsicherheitskompetenz, Methodenoffenheit und soziale Offenheit, eine hohe Frustrationstoleranz und sehr viel Organisations- und Projekterfahrung. Und Eigenverantwortung! Das qualifiziert sie sehr gut für eine Selbstständigkeit und für Führungsaufgaben. Denn, was wir in der Zukunft der akademischen Bildung brauchen, sind die vier Ks des Lernens: Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken und Kooperation. Da sind wir ziemlich weit vorne mit dabei.

Arbeitet ihr auch innerhalb der Hochschule interdisziplinär mit anderen Fachbereichen? Oder auch aus der Hochschule hinaus?
Auf jeden Fall! Ganz aktuell entwickeln wir zum Beispiel zusammen mit den Elektrotechnikern und Informatikern einen Studienschwerpunkt Game Design. Im Februar sind wir mit dem Projekt Tabletop & Textile, das ist eine Verbindung aus dem Keramik-, Porzellan- und Glasdesign hier mit dem Textildesign in Mönchengladbach, auf der Ambiente Frankfurt. Und wir haben in den letzten 12 Jahren über 70 Projekte in der Stadt Krefeld gemacht. Die kann man sich in unserem „Komm Komm Komm“-Archiv anschauen.

Mit dem Anspruch, sich zukunftsweisenden Themen zu widmen, verändern sich ständig die Themen, die eure Studierenden– zum Beispiel im Rahmen von Projektarbeiten – beschäftigen. Was bedeutet dieser ständige Wandel für euch als Lehrende? Ihr habt es dann ja nicht mit bleibenden Fakten wie in der Mathematik zu tun, sondern müsst eure Studierenden in immer neuen Bereichen anleiten und hinterfragen…Was als Aufgabe für uns gleich bleibt, sind die Kernfragen der Gestaltung: Was ist eine gute Gestaltung? Da gibt es auch ein allgemeines Wissen und Lehrmethoden, wie z.B. der Umgang mit Medien, Farben, Formen, Proportionen, Bewegung, mit formalen Systemen, Strukturen und Prozessen. Die Kontexte aber ändern sich. Und deshalb passen wir uns an – derzeit z.B. an die Herausforderungen der KI. Und: Die soziale Bedeutung des Studiums nimmt zu. Wir begleiten die Studierenden auf ihrem Weg, vermitteln Freiheit und Orientierung in der Gestaltung und beruflichen Perspektiven. Deshalb bieten wir unseren Studierenden mehr lebensweltliche Erfahrungen zur Entwicklungsmöglichkeit und schaffen damit auch eine Verbindlichkeit, was im Design sehr wichtig ist. Wenn ich verantwortungsvolle Menschen für die Gestaltung der Zukunft ausbilden möchte, dann brauchen die Akteure Augenhöhe.

Ihr habt ja auch verschiedene Werkstätten an der Hochschule, also viele Möglichkeiten praktisch zu arbeiten…Genau. Die Druckwerkstätten, die künstlerischen Drucktechniken, die Holz-Metall-Kunststoffwerkstätten und die Keramik-Porzellan-Glaswerkstätten. Es ist ein erklärtes Ziel von mir, diese traditionellen Herstellungs- und Anwendungsbereiche zu erhalten. Das wird uns sehr viel Kraft kosten in Zukunft, aber bestimmte Dinge kann man nur erfahren, wenn man sie tatsächlich auch praktisch tut. Wenn man gestaltet, ist das Werkzeug ganz wesentlich. Ob ich einen Entwurf am Computer mache oder mit der Schere was ausschneide, ist ein Riesenunterschied. Bestimmte Dinge kann man sehr gut lernen, wenn man sie auf unterschiedlichen Wegen tut. Außerdem zeigt die Geschichte, dass zwar neue Gestaltungsmöglichkeiten kommen und die alten verdrängen, diese aber meistens wiederkommen, nur unter anderem Vorzeichen.

Wie definierst du „gutes“ oder „gelungenes“ Design“?Vor vielen, vielen Jahren ist in einem Seminar mal meine Lieblingsdefinition von Design entstanden: Design verleiht Handlungen Sinn und Sinnlichkeit. In dem Moment, wo es Sinnlichkeit gibt, gibt es auch immer die Frage nach ästhetischen Werten. Ein Design ist gut, wenn der Designer auf jede Nachfrage zur Gestaltung eine überzeugende Antwort weiß: Warum ist es aus dem Material? Warum ist es diese Farbe? Warum ist die Formation so? Warum geht es so an und so aus? Wie gestalte ich eine soziale Atmosphäre, ...? Diese Fragen z.B. beantworten zu können, und zwar auf Grundlage einer Mischung aus der Vorstellung, in welcher Welt man leben möchte, und einer Vorstellung davon, was schön und gut ist für diese Welt, das muss man sich als Designer*in erarbeiten. Dafür muss ich lernen, in meine Vorstellung von der Welt reinzufragen.

Vorstellungen von der Welt gehen gerade wieder sehr stark auseinander. Und man kann, sagen wir mal, auch eine „Ästhetik des Bösen“ erschaffen. Hat ja in der Vergangenheit schon ganz gut funktioniert. Wie verfahrt ihr damit?Das ist die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Ästhetik. In dem Moment, in dem man in diese Welt hineinarbeitet und in dieser Welt etwas schafft, ist die Frage, was damit geschieht, natürlich wichtig. Und die muss ich beantworten können als Designer. Es gibt ein Video auf YouTube von einem Designer, der gefragt wird, ob er eigentlich kein Problem damit hätte, eine Tellermine zu designen. Der antwortet: „I‘m just a designer.“ Das geht nicht. Design braucht Verantwortung und Design braucht eine ethische Reflexion. Deshalb haben wir auch Ethik, Philosophie und Psychologie im Unterricht als Ergänzungsfächer. Wir halten das für absolut notwendig, dass man das fundiert. Ich persönlich bin ein Anhänger des sogenannten relationalen Designs.

Das heißt?Das heißt, es geht nicht darum, was das ist (zeigt auf seine Kaffeetasse). Es geht auch nicht darum, was ich bin, sondern es geht darum, was ich für eine Beziehung habe zu diesem Ding. Wie ist die Beziehung? Die spricht mit mir. Das ist für meine Finger (zeigt auf den Henkel), das ist für den Kaffee (zeigt in die Tasse hinein), das ist für den Teller (zeigt auf die runde Wulst am Boden der Tasse). Wenn du diese Tasse nicht so befragst, ist sie erst einmal nichts anderes als ein tragbares Loch. Also musst du fragen: Wie spricht sie denn zu deinen Fingern, zu deiner Hand? Wie spricht sie denn zu deinem Mund? Ist sie freundlich zu dir? Über eine emotionale Herangehensweise entsteht auch automatisch eine Verantwortung. Etwas toll zu finden, ist ganz einfach. Etwas scheiße zu finden, ist auch ganz einfach. Aber eine Beziehung zu gestalten, das ist Königsdisziplin. Zwischen Menschen und zwischen Menschen und Dingen. Und darum geht es. Und deshalb vertrete ich relationales Gestalten. Das ist eine Methode, die mehr Nachhaltigkeit produziert. Denn was uns verbindet, wird mehr wertgeschätzt. Wir müssen lernen, immer weniger nur Dinge, dafür mehr Beziehungen zu gestalten!