flüssig & kostBar Biere zum Genießen

Krefeld · Gut Ding will Weile haben. Sei es ein Teig, der gehen,ein Samenkorn, das wachsen oder eine Idee,die reifen muss. Michael Otterbeins Idee musste erst volljährigwerden, bis er sie umsetzte – vielleicht besser so, denn sie hat mit dem Verzehr alkoholischer Getränke zu tun.

Foto: vertäll

Schon seit 2006 gärte in meinem lieben Kollegen der Gedanke, einen Ort für wertigen Biergenuss ins Leben zu rufen. Nach unserem Besuch in seinem kürzlich eröffneten Concept-Store im
Herzen Uerdingens kann ich sagen: Gut so! Denn hier hat er den perfekten Ort für ein ausgegorenes Konzept mit vielen Freiheiten gefunden, zu dem man ihm nur gratulieren kann.
Es ist 18 Uhr. Langsam schleicht die Dämmerung in die Gassen der Rheinstadt. Es wird einem gemütlich zumute, besonders in dem Wissen, dass man es sich gleich auf einem der weichen
Stühle am hübsch gedeckten Holztisch in der Niederstraße 39 gemütlich machen darf, aus deren Fenstern warmes Licht aufs Pflaster fällt.
Gut gelaunt begrüßt unser Gastgeber die nach und nach eintrudelnde Truppe Teammitglieder samt Anhängen, die sich alle erst einmal staunend im Ladenlokal umsehen, das bis vor
wenigen Monaten noch der hANNSi Concept-Store war. Als Maria Grimmer im Juni dieses Jahres bekanntgab, dass sie ihr „Lädchen“ aufgeben würde, musste Michael nicht lange über-
legen: Dieses Jugendstil-Lokal war endlich der richtige Ort für seine Idee eines Spezialgeschäfts mit Event-Angebot. „flüssig & kostBar“ sollte es heißen, ein Name, der verdeutlicht: Hier geht es nicht um Kippbiere fürs Effekttrinken, sondern um qualitative,
besondere und vielseitige Craft-Biere.

Die Flaschen stehen ordentlich aufgereiht in Regalen, die Kunden des hANNSi-Lädchens noch bekannt vorkommen dürften. „Coconut Grove“, „Smash IPA“ oder „Road Runner“ hei-
ßen sie und versprechen spannende Geschmackserlebnisse. Abgerundet wird das Angebot mit Limonaden, Spirituosen und schönen Dinge von lokalen und internationalen Künstlern.
Die Wände zieren Gemälde der Uerdingerin Christa Riemann.
„Bei einem Bier-Tasting biete ich immer sechs bis sieben Sorten an. Ich starte meistens mit etwas Leichtem, Herbem und bewege mich immer weiter auf die dunklen, schweren Biere zu“, erzählt Michael, als wir alle Platz genommen haben und neugierig auf
die Snacks linsen, die er zum Bier bereitgestellt hat. Käse, Brot, Aufstriche, frische Trauben und Tomaten.

Wir machen heute das Einsteiger-Tasting „Expedition in die Bierwelt“, das mit vielen verschiedenen Eindrücken aufwarten wird.

Als Aperitif bekommen wir ein Kirschbier namens KRIEK BOON, das – anders als die pappsüßen Kirschbiere, die ich bisher kannte – angenehm fruchtig-frisch und säuerlich schmeckt, mit einer leisen herben Note. Das liege daran, dass in herkömmlichen Kirsch- und Fruchtbieren oft mit Saft gearbeitet werde. Hier
handle es sich um ein Sauerbier, die Kirschen würden direkt mitvergoren, sagt Michael. Ein guter Einstieg – und direkt eine Überraschung für alle.
„Ja, das ist nichts, was man beim Grillen zur Wurst trinkt“, bemerkt Michael und erklärt: „Eine genaue Definition, was Craft-Biere sind oder sein dürfen, gibt es übrigens nicht.“
Ursprünglich stamme der Begriff aus den USA, wo es nach der Prohibition und einem langen Hausbrauverbot ab den 70ern einen regelrechten Bier-Boom gegeben habe. „Man fing an, zu

experimentieren. Die Amerikaner hatten kein Reinheitsgebot, an das sie sich halten mussten, und haben einfach mal geguckt, was geht.“ Auch in den Niederlanden und Belgien gebe es eine große Craft-Bier-Kultur. In Deutschland wirkt das Reinheitsgebot noch als gewisse Einschränkung, doch auch hierzulande experi-
mentieren bereits viele Brauer an der Grenze des Gesetzes

von 1516. „Das ist damals vom Kurfürsten von Bayern ins
Leben gerufen worden, weil Weizen und Roggen für die
Bäcker reserviert werden sollte – und man psychoaktive
Substanzen, die bisher gerne mitverbraut wurden, aus dem
‚Grundnahrungsmittel‘ Bier fernhalten wollte. Ganz nebenbei
konnte der bayerische Staat durch die Verleihung von
Weizenbier- Privilegien Geld einnehmen.“
Gang zwei folgt in Form des Fleuther Eins. „Ein Pils mit
Twist“, wie Michael es beschreibt. Blumig-frisch, sehr leicht
und unkompliziert. Beim aufmerksamen Schmecken sind
neben der recht dezenten Bitternote des Hopfens auch
leichte Honignoten zu erkennen.

Immer wieder schauen von draußen Passanten durch die
Scheibe herein. Ich stelle mir vor, wie gemütlich wir hier wohl

aussehen, essend, trinkend und schwatzend. Ein regel-
rechter Live-Imageclip für den Laden, der auch den meisten

Uerdinger*innen noch neu sein dürfte.
Geduldig sammelt Michael unsere Aufmerksamkeit, die hier
und da von Privatanekdoten gebrochen wird, wieder ein und
leitet über zum dritten Bier des Abends: Auf das Pils mit Twist
folgt ein Lager mit Twist. Das „Prototyp“, ein New Style Lager

aus Hamburg sieht nicht nur gut aus, es schmeckt auch her-
vorragend. Mit seinen leichten Zitrusnoten erinnert es an ein

Indian Pale Ale, kurz IPA, ist aber insgesamt weniger intensiv.
Wir lernen, woher das Indian Pale Ale seinen Namen hat,
warum Hopfen in deutschen Bieren oft so bitter ist, was
Hopfenstopfen bedeutet und was eine Hopfenpistole ist.
Michael lacht vergnügt. Er muss diese Geschichten schon
diverse Male erzählt haben, schließlich macht er schon seit

Jahren Craft-Bier-Tastings im Privaten. Dennoch erzählt er
jede Anekdote so lebendig, als wäre es das erste Mal.
Unser viertes Bier, ein Double IPA namens „Extase“, macht
seinem Namen alle Ehre und löst allgemeine Begeisterung
aus. Die Brauerei mit dem wahrscheinlich sperrigsten
Namen der Welt, „De Dochter van de Korenaar“, die mit
gleich fünf Bieren in Michaels Auslage vertreten ist, hat

hiermit ein leicht herbes Geschmackserlebnis aus malzig-
süffigen und dezent rauchigen Noten geschaffen.

Um seine Biere aufzustöbern, ist Michael ganz schön
umtriebig, besucht Fachmessen, reist nach Holland, Belgien
und quer durch Deutschland. Dass die meisten Craft-Biere
mit sehr ansprechenden und ausgefallenen Etiketten
daherkommen, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Die
Entscheidung, ob ein Bier in seinem Laden landet, trifft er
allerdings ausschließlich nach Geschmack.
Bevor wir nach vier unterschiedlichen Bier-Sorten mit
steigendem Alkoholgehalt zum großen Finale kommen,
schenkt Michael uns eine Runde alkoholfreies „Roadrunner

Coffee Stout“ aus, das tatsächlich schmeckt wie ein Cold-
brew-Kaffee mit leichter Kohlensäure. Wir möchten wissen,

ob er selber ein Lieblingsbier habe. „Das nicht“, sagt er und
schmunzelt, „aber ich bin schon eher ein Süßer.“

Als er das Final-Bier ankündigt, hebt unser Gastgeber viel-
sagend die Augenbrauen. „Sans Pardon“ – Ohne Gnade“

heißt es, ein Russian Imperial Stout. Der Name steht in
blutroten Lettern auf dem schwarzen Etikett, als hätte man
einen Krimi in eine Flasche abgefüllt. „Davon schütte ich
euch nur einen Schluck ein. Das ist mit 11 Prozent Alkohol
schon ganz schön heftig“, warnt Michael. Das likörartige
Bier fließt beinahe schwarz aus der Flasche. Der intensive
Geschmack, der, wie wir lernen, durch den erhöhten

Alkoholgehalt zustande kommt, vereint Lakritz-, Kaffee-
und Schokoladennoten. Dazu kommt der typische Malzton

dunkler Starkbiere und ein Hauch Salzigkeit. Ich finde es
köstlich! „Davon trinkt man vielleicht abends in Ruhe vor

dem Kamin eine Flasche“, sagt Michael und fügt augen-
zwinkernd hinzu: „Dann geht man aber auch ins Bett.“

Ins Bett, ja – wie spät ist es eigentlich? Die Uhr sagt, dass
wir schon fast drei Stunden zusammen am Tisch sitzen.
Die Zeit ist ebenso schnell verflossen wie das Bier, das uns
mit einer neuen Begeisterung für Gebrautes und der Frage
zurücklässt, ob das deutsche Reinheitsgebot nicht doch
etwas lockerer ausgelegt werden sollte.
Michael hat uns mit unserem Abschiedstrunk gleich Lust
aufs nächste Event gemacht, das unter dem verlockenden
Titel „Die dunkle Seite des Bieres“ schon erahnen lässt,
wohin die Reise geht. Weitere Ideen sind in der Mache. Und
die haben neben Hopfen und Malz auch mit Wacholder,
Zauberei und sogar Wein zu tun...
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