Vor dem Start der TeReMeer Open 2024 Leistung honorieren

Vom 26. August bis 1. September finden in Meerbusch die TeReMeer Open statt, diesmal als Ladies NRW Grand Prix. Wir sprachen mit Veranstalter Marc Raffel über den Status Quo und die Entwicklungen des deutschen Sports.

Tennis-Veranstalter Marc Raffel stand uns Rede und Antwort.

Foto: Veranstalter

Marc, Boris Becker und Florian Hambüchen haben kürzlich ein Umdenken im Mindest des deutschen Leistungssports gefordert. Wie schätzt du die aktuelle Situation ein?

Raffel: Die beiden haben vor allem angemerkt, dass sich junge deutsche Sportler für den Erfolg nicht mehr quälen wollen. Diesem Statement kann ich mich nur anschließen. In der Tat sehe ich immer weniger junge Tenniscracks, die richtig auf dem Court arbeiten. Viele wollen zwar den Erfolg, finden und kennen jedoch nicht mehr den Weg dorthin. Es fehlt die Hingabe, die Leidenschaft, der absolute Wille. Du musst als junger, ambitionierter Tennisspieler auch mal eine Stunde nur Cross über das Netz schlagen, immer und immer wieder. Training kann monoton, sehr hart und entbehrungsreich sein. Vielen Deutschen ist das einfach zu viel.

Warum funktioniert das denn in anderen Ländern wie Italien, USA, Argentinien oder den Balkanstaaten?

In diesen Ländern geht der Tennissport gerade in der Tat steil. Italien hat eine vorbildliche Turnierkultur und Turnierlandschaft, in Argentinien wird Sport mit Leidenschaft, Stolz und Emotionen getrieben, das sahen wir ja auch bei der letzten Fußball-Weltmeisterschaft, und in den USA spielt Sport in der Gesellschaft eine sehr starke, fast dominierende Rolle. Spitzensporterfolge in Kroatien, Russland oder in der Ukraine führen aus der Armut und der Bedeutungslosigkeit Dies alles trifft auf die Gesinnung und die Struktur in Deutschland leider nicht zu. Stattdessen spielt in Deutschland der Sportunterricht in der Schule fast gar keine Rolle mehr, es werden die Bewertungen der Bundesjugendspiele abgeschafft und Fördermittel werden geradezu ausnahmslos für Inklusions- und Minderheitenprojekte bewilligt, während der Spitzensport in die Röhre schaut. Das ist ganz und gar nicht verwerflich, aber man muss sich nicht wundern, wenn Erfolge im deutschen Spitzensport dann eben ausbleiben.

Aber Deutschland ist Basketballweltmeister!

Das ist in der Tat eine tolle Leistung. Jedoch gibt es heutzutage so viele organisierte Sportarten, vermehrt auch bei den Damen, und verschiedenste Altersklassen bis hin zum Behindertensport, dass natürlich auch Deutschland immer mal wieder irgendwo dabei ist. Das darf kein Maßstab sein. Bei der letzten Leichtathletik-WM gab es keine deutsche Medaille, im Fußball sind wir trotz eines kleinen Aufwärtstrends von einem Titel nach wie vor weit entfernt. Reichen Heimsiege gegen Schottland und Ungarn tatsächlich aus für einen neuen Höhenflug? Oder benötigen wir doch besser greifbare Titel wie Spanien, Argentinien oder Frankreich? Ist in der jüngsten Tour de France eigentlich noch ein Deutscher mitgefahren? In meiner Jugend holten beide deutschen Staaten bei den Olympischen Spielen mehr Medaillen als die USA oder die Sowjetunion, Deutschland war Fußball-Welt- und Europameister, Steffi Graf und Boris Becker dominierten das internationale Tennis, Michael Schumacher war selbstverständlich Formel 1-Weltmeister und Jan Ullrich begeisterte bei der Tour. Weitere Olympische Sportarten wurden dann noch durch Ex-DDR Sportler zu Erfolgen geführt wie Henry Maske oder Katharina Witt, aber auch der DDR-Turbo im Athleten- und Trainerbereich ist schon lange erloschen.

Kommen wir zum Tennissport. Wie schlagen sich die deutschen Profis auf der Tour?

Alexander Zverev hat bislang eine bärenstarke Saison gespielt – irre, was der leistet. Dahinter klafft jedoch eine Riesenlücke, nein, eine Welt. OK, auch Jan-Lennard Struff hat sich mit 34 Jahren noch mal in den Fokus gespielt, danach wird es dann aber eher übersichtlich. Damit wir uns richtig verstehen: Ich schätze die Leistungen von Daniel Altmaier, Yannick Hanfmann, Dominik Köpfer etc. sehr, jedoch bräuchten wir 20 Spieler dieser Güte, mehr Quantität. Bei den Damen sieht es – auch durch das Karriereende von Angelique Kerber – noch düsterer aus. Unsere beiden konstanten Top 100-Spielerinnen Tatjana Maria und Laura Siegemund sind beide Mitte 30, danach gibt es einige junge Talente, aber halt nicht mehr. Ja, die Qualität ist wichtig, aber auch die Quantität muss in einem 82-Millionen-Einwohner-Land wie Deutschland stimmen. Und da stelle ich einen großen Missstand fest.

Tragen da unsere Trainer eine Mitverantwortung? Wo liegt der Fehler?

Der Fehler ist ein voller Blumenstrauß! Ich glaube an den Trainern liegt es weniger, wir haben eine gute Ausbildung und viel Kompetenz. Ich stelle jedoch fest, dass die Becker-Generation als Trainer den Ruhestand vor Augen hat und wir bei den jüngeren Trainern einen echten Fachkräftemangel haben. Die tennisverrückten Babyboomer ziehen sich langsam aber sicher zurück und das Spielergap hinter Steffi und Boris macht sich nun auch zunehmend im Trainermarkt negativ bemerkbar. Ich erlebe leider viel zu viele Trainer, denen der Wille zur Weiterbildung, das absolute Tennisfachwissen abhanden gekommen ist. Arbeiten müssen wir an unserer Turnierlandschaft, die ist einfach zu dünn und gibt dem Nachwuchs kaum Anreiz. Überprüfen müssen sich die Vereine, ob ihre Nachwuchsförderung tatsächlich auch im Leistungssport ansetzt. Und hinterfragen müssen sich auch die Verbände, warum die wenigen erfolgreichen Talente reine Privatkarrieren sind. Gäbe es auf diesen Ebenen positive Veränderungen, wäre bereits viel gewonnen.

Wie sieht deine Prognose fürs deutsche Spitzentennis aus?

Das ist schwer zu sagen. Nach dem Karriereende von Angelique Kerber fällt wohl auch dem letzten Optimisten auf, wie schlecht es um unsere Klasse steht. Ich wünsche Tatjana Maria und Laura Siegemund noch den einen oder anderen Erfolg, aber ich sehe für das deutsche Damentennis viele Probleme in der Zukunft. Die goldene Generation mit Angelique Kerber, Julia Görges und Andrea Petkovic wird kaum zu ersetzen sein. Bei den Herren sehen meine Prognosen zwar etwas besser, aber nicht eben gut aus. Nochmal: Wir sprechen über Positionen unter den Top 30 der Weltrangliste und vielleicht mal wieder einen Grand Slam-Turniersieger, nicht über gelegentliche Erfolge.

Wer kann helfen?

Unser gesellschaftlicher Wille! Mit irgendwelchen Marketingkampagnen im Netz mit Bildchen und Filmchen ist niemandem geholfen, ebenso wenig, wenn in den Medien der Eindruck erweckt wird, es sei doch alles nicht so schlimm. Mit Verweisen auf kleine Erfolge auf Jugendturnieren lenkt man lediglich vom Problem ab. Wir müssen unsere Schwerfälligkeit und Gemütlichkeit ablegen und Leistungen wieder honorieren lernen. Auf die Titelbilder unserer Tennisgazetten und in die Berichte unserer Sportmagazine gehören Bilder und Stories über unseren Nachwuchs und nicht über Senioren-Tennisspieler in Bad Nauheim oder Antalya. Ja, und wir müssen auch unsere deutschen Komplexe abstreifen, die immer nur auf Ausgleich und übertriebenen Konsens aus sind. Jahrzehnte wurde in der Sportförderung in Deutschland geschlafen mit dem Ergebnis, dass alleine die Stadt Los Angeles in den USA eine höhere monetäre Unterstützung dem Spitzensport zukommen lässt als das gesamte Land Deutschland. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen! Sport verbindet die Menschen, Sport fasziniert vor allem auch die Jugend, Sport ist gesund und macht das Leben lebenswerter. Wenn dies alles in Deutschland wieder beherzigt wird, dann kann man sich auch wieder glaubhaft als Ausrichter der Olympischen Spiele ins Gespräch bringen. Denn stellen wir uns mal vor: 2040 ist Deutschland Gastgeber und kaum ein deutscher Sportler ist qualifiziert.