Titanic Mythos als Musical

Mönchengladbach · Die Hybris des Menschen, die Welt beherrschen zu können, scheitert immer wieder an den Kräften der Natur. Das versinnbildlicht die tragische Geschichte der „Titanic“. Deshalb wurde sie wie kein anderes Unglück zum Mythos. Regisseur Ansgar Weigner inszeniert für die neue Spielzeit des Gemeinschaftstheaters Krefeld-Mönchengladbach eine opulente Musicalfassung des weltbekannten Stoffs. Sie leitet in Gladbach die neue Spielzeit ein. Im nächsten Jahr ist sie in Krefeld zu erleben.

Dieses Szenenbild aus der Aufführung am Theater Osnabrück 2023, wo die Inszenierung zum fulminanten Erfolg wurde, gibt den Zuschauern am Niederrhein einen Einblick, was sie im Herbst in Mönchengladbach erwartet. Foto: Stephan Glagla

Foto: Stephan Glagla, Theater Osnabrück/Stephan Glagla

Am 15. April 1912 sank das englische Passagierschiff Titanic im Nordatlantik. Über 1500 Menschen kamen dabei ums Leben. Eine schreckliche Tragödie. Die Titanic war damals das größte Schiff der Welt. Über 2200 Passagiere beförderte es auf seiner Jungfernfahrt von England nach Amerika. Es galt als unsinkbar. Deshalb wohl auch machten sich viele Passagiere der Oberklasse zunächst keine Sorgen, als der Dampfer einen Eisberg rammte und schwer beschädigt wurde. Doch zwei Stunden und vierzig Minuten später wurde Schiff komplett vom Meer verschlungen.

Inzwischen ist das Wrack am Meeresboden entdeckt worden. Taucher drangen in U-Booten 3800 Meter in die Tiefe vor, um das legendäre Rudiment einstiger Größe zu erforschen. Die Titanic ist zum Mythos geworden. Auch die Künstler beschäftigen sich seit über 100 Jahren mit der Tragödie. Unzählige historische und fiktionale Bücher sind erschienen. Schon gleich nach dem Unglück wurde darüber ein erster Stummfilm gedreht. Größtes Aufsehen in jüngster Zeit erregte der aufwendige Katastrophenfilm von James Cameron aus dem Jahre 1997. Und im gleichen Jahr feiert am Broadway in New York das Musical „Titanic“ Premiere.

Was fasziniert uns Menschen so sehr an diesem fatalen Ereignis? Ansgar Weigner, der das Musical für das Gemeinschaftstheater Krefeld-Mönchengladbach inszeniert, sagt treffend: „Die Geschichte der Titanic ruft uns ins Bewusstsein, dass sich der Mensch nicht über die Kräfte der Natur hinwegsetzen kann.“ Ebenso wie das biblische Beispiel des Turmbaus zu Babel und die unsterbliche Geschichte von „Frankenstein“ führt uns das angeblich unsinkbare Schiff Titanic vor Augen, dass wir gegenüber den Mächten der Natur bei all unserer Wissenschaft letztendlich machtlos sind. Die Natur ist stärker. Eine Erkenntnis, die sich durch alle Zeiten zieht und stets aktuell bleibt.

Regisseur Ansgar Weigner setzte „Titanic“ erstmals 2023 am Theater Osnabrück in Szene. Diese Fassung adaptiert nun das Gemeinschaftstheater Krefeld-Mönchengladbach, das dazu mit dem Theater Osnabrück kooperiert. Das bedeutet, Inszenierung, Kulissen und Kostüme werden übernommen. Das funktioniert gut, weil die Bühnenräume von Osnabrück und Mönchengladbach vergleichbare Maße haben. Hintergrund der gemeinsamen Aktion ist der Gedanke der Nachhaltigkeit. Und preisgünstiger ist eine solche Adaption natürlich auch. Nichtsdestotrotz muss das Stück an den beiden Bühnen des Gemeinschaftstheaters neu einstudiert werden. Niederrhein-Premiere ist am 19. September im Haus Mönchengladbach. Im nächsten Jahr wird das Musical dann auch in Krefeld zu hören und sehen sein.

Es wird eine opulente Aufführung, wie man in Osnabrück bereits erleben konnte. Rund 80 Akteure stehen auf der Bühne. Die große Schar an Schauspielern, Sängern und Statisten macht es selbst dem Regisseur nicht leicht, die Übersicht zu behalten: „Über dem Probenplan sitze ich Tage“, lacht Weigner. Denn das Musical ist anders als der Film, der ein Liebespaar in den Mittelpunkt stellte, betontermaßen ein Ensemblestück. Es gibt keine eigentlichen Hauptfiguren. Stattdessen spiegeln jeweilige Dreiergruppen von Menschen die unterschiedlichen sozialen Schichten, die auf der historischen Titanic als Passagiere und Mannschaftsgrade vertreten waren. Einzelne historische Persönlichkeiten werden mit ihren Lebensläufen ins Spiel eingebunden. Dazu arbeitet Regisseur Weigner eng mit einem ausgewiesenen Kenner der realen Ereignisse zusammen: dem Buchautor Norbert Zimmermann. „Er nimmt auch in Mönchengladbach wieder an den Proben teil“, verrät Weigner. Für historische Authentizität ist also gesorgt.

Schon der amerikanische Librettist Peter Stone, der auch die Idee zur Musicalfassung hatte, hielt sich eng an das historische Personal. Er schrieb 27 Szenen, in denen er ausgewählte Charaktere vorstellt. Die Komponistin Maury Yeston steuerte entsprechende Songs bei, wobei Sprache und Songs vielfach ineinander übergehen. Regisseur Weigner setzt in seiner Inszenierung eine Drehbühne ein, um einen schnellen Szenenwechsel zu ermöglichen. Die erste Aufführung des Musicals in Deutschland in übersetzter Fassung von Wolfgang Adenberg fand 2002 in Hamburg statt. Seitdem führten es mehrere deutschsprachige Bühnen auf. Auch die Inszenierung Ansgar Weigners in Osnabrück wurde ein fulminanter Erfolg.

Weigner und sein Team haben sich auch für den Niederrhein ein Rahmenprogramm einfallen lassen, das die Zuschauer auf die Aufführung einstimmt. So wird das Theaterpersonal die Besucher in historischen Kostümen empfangen. Zudem erhält jeder Besucher eine Bordkarte, als würde er selbst das Schiff betreten. Weitere Programmpunkte sind geplant.

Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, ob es angesichts der historischen Tragödie nicht zynisch ist, aus dem Stoff ein Musical zu machen. Schon Autor Stone wies aber darauf hin, dass sein Stück von den Überlebenden erzählt, die sich vielfach heldenhaft verhalten haben. Auch Regisseur Weigner sagt: „Ich habe nicht das Gefühl, dass es zynisch ist, weil es nicht auf einer Kitschebene spielt“. Letztlich feiert das Musical das Leben.