Seinen 100. Geburtstag am 16. Dezember hätte er im großen Stil feiern können. „Rainer Bonhof – er ist ja ein Freund von mir – hat gefragt: ‚Machst du das im Club bei Borussia?’“, verrät Hubert Jerabek. „Aber mein Arzt hat gesagt: ‚Lassen Sie das sein!’“ Gefeiert hat er dann zuhause mit seiner 23 Jahre jüngeren Ehefrau Caroline, der „Liebe seines Lebens“, mit der er seit 50 Jahren verheiratet ist – und vielen Besuchern. „Zuerst kam die Montagsgruppe“, erzählt er. „Wir treffen uns seit 50 Jahren, essen zusammen und palavern.“
Nicht zu vergessen, Jupp Heynckes kam auch gratulieren. „Aber schon einen Tag vorher, er mag das nicht so, mit so vielen Menschen...“, erklärt Jerabek und spricht in den höchsten Tönen von seinem Freund. „Ich kenne keinen Menschen, der so viel erreicht hat und dabei so bescheiden geblieben ist.“
Und Jerabek kennt so einige Menschen, schon durch sein langjähriges Business. Nach dem Krieg – im Alter von 15 Jahren wurde er eingezogen, kam zur Marine – kam der gebürtige Erkelenzer zurück nach Mönchengladbach, wo er ab dem sechsten Lebensjahr bei seinem Vater wohnte. „Dann stand ich da“, erinnert er sich. Auf der Bismarckstraße „direkt neben Heinemann“ habe er eine Weile gewohnt, eine Ausbildung zum Installateur gemacht („Hat mir nicht gepasst, da bin ich abgehauen.“) und bei Wico gearbeitet.
Seine Selbstständigkeit hat er früh eingefädelt, nahm Stoffe mit nach Süddeutschland, wenn er seine Mutter besuchte, später auch „Klamotten“. 1964 hat er sich schließlich selbstständig gemacht, zuerst Herrenmode auf der Gracht, dann auch Damenmode. Vier Geschäfte, zwei in Rheydt und zwei in Mönchengladbach, besaß er. Ein weiteres, in dem er preisgünstige Mode anbieten wollte, schloss er schnell wieder, als gegenüber P&C aufmachte. Dass sein Geschäft boomte, hatte er ein bisschen Glück, vor allem aber seinem Fleiß und seinem Händchen für Fashion zu verdanken. Ein Einkäufer gab mir den Tipp, in Italien einzukaufen“, verrät Jerabek. „Ich habe wie irre verkauft, zu 80 Prozent italienische Ware, viele Leder, ich war ein Lederfetischist“, schmunzelt er.
Und dann passierte eines Tages etwas ganz Besonderes. „Hennes Weisweiler kam ins Geschäft, Stiefeletten kaufen“, plaudert Jerabak. „Er hat dann erzählt, Borussia Mönchengladbach werde als Mannschaft des Jahres ausgezeichnet. ‚Was habe ich damit zu tun?‘, fragte ich. ‚Uns Anzüge verkaufen!’ hat er darauf gesagt.“ Mittelblaue Anzüge mit weißen Knöpfen seien es geworden. „Die Mannschaft strahlte auf der Bühne...!“, blickt Jerabek mit einem Lächeln zurück. „Und den Anzug habe ich dann an die 50 oder 60 Mal verkauft, nachdem ich ihn als ‚Borussenanzug‘ ins Schaufenster gestellt habe!“ Ein weiterer sportlicher Auftrag verschlug ihn dann noch nach Köln, wo er der Mannschaft des 1. FC, die nach Tokio eingeladen worden war, beige Feincordanzüge verpasste.
Lange ist’s her und die Mode wandelt sich. Mit 73 Jahren hat Jerabek seine Geschäfte geschlossen. „Ich hatte keine Lust mehr.“ Die Erinnerung bleibt. „Exquisit Mode war das beste und schönste Geschäft in Mönchengladbach“, sagt er stolz. Schick macht er sich immer noch gern. Shoppen gehen musste er aber selten. „Von der Firma war noch viel übrig geblieben.“
Einen Rollstuhl benötigt er erst seit kurzem. Seit Juli 2024 ist er einmal pro Woche in der Tagespflege im Caritas-Zentrum in Venn. „Es gefällt mir ganz gut“, sagt er, „hätt‘ ich nicht gedacht...“ Etwas kurzatmig ist er, vor allem, wenn er, wie an diesem Tag, so munter plaudert, ohne „Sauerstoffbrille“ in der Nase. Und dabei wäre er so gern wieder fit genug fürs Golfen. 20 Jahre lang, bis vor drei Jahren, habe er im Golfclub gespielt, dann konnte er nicht mehr laufen.
Was er machen würde, wenn er es dem Mann im Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ gleich tun würde? „Mich irgendwo niederlassen, vielleicht in Luxemburg oder Holland, und Stoffe verkaufen.“
Sein nächstes Ziel: „105 werden – das schaff ich auch noch!“ Mit seiner Frau an seiner Seite, wohlgemerkt. Denn wie er betont: „Wenn ich sie nicht hätte, würde ich hier nicht sitzen.“