Eine Nachricht, die nicht nur auf lokaler Ebene Wellen schlug: Ausgerechnet im Jahr des 50-jährigen Kreisjubiläums will der Neusser Stadtrat prüfen lassen, ob die Stadt Neuss aus dem Rhein-Kreis Neuss aussteigen kann. Mit großer Mehrheit hatte sich das Gremium im Mai dafür entschieden, die Verwaltung die rechtlichen Möglichkeiten und die konkreten Vorteile eines „NExit“ bewerten zu lassen. Eingebracht hatte den Antrag die Stadtratsfraktion „Neuss Jetzt“. Die SPD hatte neben anderen Fraktionen ebenfalls dafür gestimmt, während die Neusser CDU die Austrittsbestrebungen nicht unterstützt – auch weil sie durch den Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen, die im Falle eines Austritts notwendig würden, zusätzliche Kosten auf die Stadt zukommen sieht.
Was sich die NExit-Befürworter von einer Abspaltung unter anderem versprechen, ist zum einen eine größere Unabhängigkeit bei Entscheidungen, etwa im Hinblick auf Einsatzschwerpunkte der Polizei in Neuss. Zum anderen stören sie sich aber auch an der Kreisumlage, die die Stadt regelmäßig an den Kreis zahlen muss, ohne einen Einfluss darauf zu haben, wofür die Geldmittel leztlich eingesetzt werden.
In Meerbusch werden die NExit-Überlegungen naturgemäß kritisch gesehen. So distanziert sich die Meerbuscher SPD in aller Klarheit vom Abstimmungsverhalten auch ihrer Neusser Parteigenossen: „Ich habe die Diskussion mit großer Aufmerksamkeit, aber auch mit einem großen Fragezeichen verfolgt“, sagt die Parteivorsitzende Chantal Messing und wird deutlich: „Ich empfinde es als unseriös und auch vom solidarischen Gedanken her nicht gelungen, jetzt mit dieser Diskussion, die hochemotional ist, in die Öffentlichkeit zu gehen.“ Zumal ein NExit – nicht nur auf Neuss, sondern auch auf die anderen Kreiskommunen – erhebliche Auswirkungen haben und auch mit großen finanziellen Belastungen einhergehen dürfte. Probleme dadurch zu „lösen“, dass man sich ihnen durch Rückzug aus der Kreisstruktur und der interkommunalen Zusammenarbeit entzieht, sei auch deshalb nicht der richtige Weg, so Messing, die für die Meerbuscher SPD betont: „Wir stehen für das Miteinander.“
Nicole Niederdellmann-Siemes, Bürgermeisterkandidatin der Meerbuscher Sozialdemokraten, sieht das genauso. Schließlich zeige schon die Geschichte der Stadt Meerbusch, dass der Schlüssel zum Erfolg letztlich in der Zusammenarbeit und im Dialog liege. Mögliche Ängste, dass im Falle eines NExit auch die Einheit Meerbuschs gefährdet sein könnte (man denke nur zurück an die Einverleibungsversuche von Düsseldorfer und Neusser Seite in der Vergangenheit), will die SPD-Frau entkräften: „Selbst für den Fall, dass es zu einem Austritt von Neuss aus dem Kreis kommt, was ich nicht glaube, gehe ich fest davon aus, dass Meerbusch als Einheit bestehen bleibt. Dafür sind wir als Stadt inzwischen auch einfach zu gestärkt.“
Hakan Temel, der im September als Landrat des Rhein-Kreises Neuss kandidiert, aber auch für die SPD im Neusser Stadtrat sitzt, distanziert sich übrigens ebenfalls von den Austrittsplänen. In der besagten Ratssitzung, in der über den Prüfungsauftrag abgestimmt wurde, hat er sich deshalb enthalten. „Ich sehe hinter dem Antrag der Fraktion ,Neuss Jetzt‘ auch keine konstruktive Idee. Im Gegenteil: Aus der Begründung des Antrags kann man schon einiges an Polemik herauslesen. Da ich aber ja nicht als Kreisvertreter, sondern als Vertrerter der Neusser SPD im Stadtrat sitze, habe ich mich diesbezüglich nicht geäußert und es stattdessen vorgezogen, mich der polemischen Debatte zu entziehen“, sagt Temel und macht klar: „Ich stehe für die Solidargemeinschaft und das Konstrukt mit dem Rhein-Kreis Neuss. Nur eine starke Region macht auch Neuss stark.“
Verstehen können Temel, Niederdellmann-Siemes und Messing die Neusser Kritik am Rhein-Kreis Neuss hingegen schon in vielerlei Hinsicht. Speziell im Hinblick auf die Transparenz von Entscheidungen gegenüber den Bürgern und den Kommunen sowie bei der Beteiligung der Kommunen an Entscheidungsprozessen gebe es noch viel Verbesserungspotenzial. Daher versprechen sie sich auch von der Kommunalwahl im September, wenn Landrat Hans-Jürgen Petrauschke aus dem Amt scheidet, die Chance auf einen Neuanfang.
Auch die anderen Merbuscher Ratsfraktionen äußern sich weitgehend ablehnend zum Thema NExit. Werner Damblon, Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU Meerbusch, sieht hierin einen „Schritt in die vollkommen falsche Richung“. Damblon: „Die Komplexität der kommunalen Aufgaben nimmt stetig zu. Darunter auch immer mehr Aufgaben, deren Lösung nicht an den Grenzen der eigenen Kommune endet. Die Ressourcen Personal und Finanzmittel zur Bewältigung dieser Aufgaben werden mit jedem Jahr knapper. Schon heute haben viele Kommunen Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte für die eigene Verwaltung anzuwerben und das nötige Wissen vorzuhalten. Als logische Folge daraus sind mehr interkommunale Zusammenarbeit, mehr Arbeitsteilung und gezielte Auslastung von Ressourcen die Aufgabe der Zukunft. In dieser Zeit einen Schritt zurück machen zu wollen, ist vollkommen unverständlich.“
Ralph Jörgens, Vorsitzender der Meerbuscher FDP und ihrer Ratsfraktion, stößt ins selbe Horn: „Das Anliegen der Neusser zur Abtrennung vom Rhein-Kreis sieht die FDP Meerbusch nur mit völligem Unverständnis. Denn eine enge und verzahnte Zusammenarbeit von Kommunen ist nicht nur zeitgemäß, sondern erfüllt in aller Regel auch das Gebot der Sparsamkeit. Auch wir in Meerbusch stehen vor Jahren der haushalterischen Konsolidierung und dort wird einer der wichtigen Stellhebel sein, Kompetenzen und Investitionen mit anderen Kommunen zu bündeln. Dabei stellt naturgemäß der Bezug zur Kreisebene einen naheliegenden Ansatz dar.“ Das Motto müsse daher also eher heißen: „Gemeinsam geht mehr“.
Einen „gefährlichen Irrweg“ sieht die UWG/Freie Wähler Meerbusch in den Neusser Plänen. In einer gemeinsamen Erklärung äußern sich Bürgermeisterkandidat Dieter Schmoll, Fraktionsvorsitzende Daniela Glasmacher und Parteivorsitzender Hartwig Spetsmann wie folgt: „In einer Zeit, in der Zusammenarbeit, Solidarität und gemeinsame Lösungen wichtiger denn je sind, sendet solch ein Vorstoß das völlig falsche Signal. Was hier als selbstbewusster Schritt verkauft wird, ist in Wahrheit ein Rückfall in eigennützige Kleinstaaterei. Ein Austritt wäre nicht nur ein Bruch mit dem gelebten Solidarprinzip innerhalb unseres Kreises, sondern auch ein fatales Beispiel für Kirchturmpolitik auf Kosten des regionalen Zusammenhalts.“ Statt über Abgrenzung solle man lieber über Kooperation sprechen – im Verkehrsverbund, in der Gesundheitsversorgung, in der Bildungs- und Sozialpolitik. Der Rhein-Kreis Neuss lebe von der Stärke seiner Gemeinschaft. „Wer daran rüttelt, gefährdet nicht nur Neuss, sondern schwächt auch alle anderen Kommunen im Kreis – Meerbusch eingeschlossen“, so die UWG-Spitze unisono.
Während sich die Meerbuscher Grünen zu der NExit-Problematik nicht äußern wollen, da man hier in die Entscheidungsfindung nicht eingebunden sei, zeigt sich die Fraktion Grün-alternativ Meerbusch erschreckt, dass „sich der globale Trend zur Abschottung und die Fokussierung auf die eigenen Grenzen bis in die kommunale Ebene runter bricht“. In der Erklärung heißt es: „Je größer die Probleme, desto stärker scheinbar der Rückzug ins eigene Schneckenhaus. Dass Neuss den Austritt aus dem Rhein-Kreis Neuss anstrebt, ist mehr als unverständlich.“ Dies löse einen großen Schaden, hohe Kosten und erheblichen organisatorischen Aufwand für den Kreis und für alle Gemeinden aus, auch für Neuss. Möglicherweise, so die Alternativ-Grünen, beabsichtige Neuss, sich von ungeliebten Verpflichtungen zu lösen, wie etwa der gemeinsamen Krankenhausstruktur. Das berge aber auch für Neuss erhebliche Risiken.
Ob ein Versuch der Stadt Neuss, sich vom Rhein-Kreis zu lösen, tatsächlich erfolgreich wäre, steht allerdings auch noch gar nicht fest. Entscheiden müsste dies letztlich der NRW-Landtag. Der hatte aber schon 1975 über den Kopf der Neusser hinweg entschieden, als im Zuge der kommunalen Neugliederung die Stadt Neuss mit der Stadt Meerbusch und dem Kreis Grevenbroich zum Rhein-Kreis Neuss fusioniert worden war. Bis zum Oberverwaltungsgericht in Münster waren die Neusser damals gezogen, um gegen die Entscheidung vorzugehen – vergeblich. Was als Argument allerdings für einen Austritt sprechen könnte, ist die Größe. So ist Neuss mit rund 160 000 Einwohnern die größte Stadt Deutschlands, die nicht kreisfrei ist, während viele kleinere Städte über diesen Status verfügen. Denkbar, dass dies diesmal doch den Ausschlag für eine Neusser Unabhängigkeit gibt.