Suchtberatung Atmosphäre der Angst und Unsicherheit

Kreis Viersen · Jedes fünfte bis sechste Kind wächst mit einem suchtkranken Elternteil auf. Viele dieser Kinder und Jugendlichen erleben Vernachlässigung und Gewalt. Darauf macht die Suchtberatung Kontakt-Rat-Hilfe Viersen anlässlich einer Aktionswoche aufmerksam – und bietet Hilfe an.

Auf das Leid von Kindern aus suchtbelasteten Familien macht die Suchtberatung Kontakt-Rat-Hilfe Viersen anlässlich einer Aktionswoche aufmerksam. Auf dem Foto von links: Lisa Hödel vom Präventionsteam, Leiter Michael Hauser und seine Stellvertreterin Adriane Thiel.

Foto: Suchtberatung

Wenn Markus* als Kind bei Freunden spielte, wunderte er sich oft. „Ich habe dann gedacht, der Vater ist ja total nett. Und dann kam mir der Gedanke, dass der bestimmt jetzt nur so tut. Das kannte ich von zu Hause“, erinnert er sich. Seinen eigenen Vater erlebte Markus meist betrunken, und dann war er gar nicht nett. „Nach außen war das ein super Papa, aber nach innen war alles ganz schrecklich“, sagt Markus, der heute Ende 40 ist und in einer Kleinstadt im Kreis Viersen aufwuchs.

Egal was er versuchte, es passte irgendwie nie. Schon als kleiner Junge fühlte er sich schuldig am Suchtproblem seines Vaters: „Ich wollte, dass er glücklich ist, aber irgendwas schien ich ja falsch zu machen. Wenn mein Vater nüchtern war, war er zugewandt. Dann habe ich gedacht, jetzt habe ich etwas richtig gemacht.“ Und natürlich durfte niemand etwas mitbekommen. Eines Abends, Markus war noch ein Kind, kam sein Vater in desaströsem Zustand nach Hause. Gegen den Protest seiner Mutter rief der Junge einen Krankenwagen. Am nächsten Tag kam sein Vater aus dem Krankenhaus nach Hause und drohte, ihn umzubringen.

Später rebellierte Markus, verließ früh sein Elternhaus und brach für Jahre den Kontakt ab. Als Erwachsener arbeitete er seine Erfahrungen therapeutisch auf – und das kann er „jedem Betroffenen nur empfehlen“. Aber als Kind und Jugendlicher, sagt er, wäre er froh gewesen über einen Hinweis, dass er nichts dafür konnte und dass es Unterstützung gibt. „Ich habe mich schrecklich hilflos und ohnmächtig gefühlt“, erinnert er sich.

Viele Kinder aus suchtbelasteten Familien leben in einer Atmosphäre ständiger Angst und Unsicherheit und erfahren zu wenig emotionale Zuwendung und Geborgenheit, weiß Michael Hauser, Leiter der Suchtberatung Kontakt-Rat-Hilfe Viersen. „Häufig kommen Gewalt, Armut, Vernachlässigung und Missbrauch hinzu“, sagt er. Die Folgen für die Kinder seien oft dramatisch. „Ihr Risiko, selber eine Sucht oder eine andere psychische Krankheit zu entwickeln, ist um ein Vielfaches erhöht“, ergänzt Hausers Stellvertreterin Adriane Thiel.

Mitarbeitende der für den gesamten Kreis Viersen zuständigen Suchtberatung gehen häufig in Schulen, sprechen dort über Sucht, machen ihre Unterstützungsangebote bekannt und informieren darüber, dass sie auch Angehörige von Suchtkranken beraten. „Es kommt häufig vor, dass uns direkt nach einer Veranstaltung in einer Schule jemand anspricht“, berichten Anne Geerlings und Lisa Hödel vom Präventionsteam. Auch in professionellen Netzwerken der Familienhilfe bringen sie sich ein. Gerade bei kleineren Kindern sei es umso wichtiger, dass Erzieherinnen, Erzieher, Lehrende und Betreuungspersonen informiert seien und vermitteln könnten.

Die Suchtberatung nimmt die vom 16. bis 22. Februar stattfindende bundesweite Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien zum Anlass, auf das Leid der Betroffenen aufmerksam zu machen. #ichwerdelaut – unter diesem Motto sollen die Kinder und Jugendlichen ermutigt werden, Hilfe zu suchen. Die Stadtbibliothek Viersen und die Buchhandlung Doetsch in Dülken unterstützen die Aktionswoche mit Büchertischen und Informationen.

Nur etwa ein Drittel der in suchtbelasteten Familien aufgewachsenen Kinder können als Erwachsene weitgehend unbeschadet leben. Dazu gehören Frederik und Justus Verlinden. Von der Alkoholsucht ihres Vaters Ulrich haben die beiden als Kinder nichts gemerkt. „Ich erinnere mich zwar, dass wir mit dem Kettcar viele leere Weinflaschen zum Glascontainer gebracht haben, aber insgesamt hat er seine Krankheit unglaublich gut kaschiert“, sagt Frederik. Später machte der Vater einen Entzug, ging in die Reha – und trinkt seit 18 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr. Ulrich Verlinden engagiert sich ehrenamtlich in der Selbsthilfe und leitet eine eigene Gruppe.

(Hinweis: Der mit * markierte Name wurden geändert.)