Grebs Jahre im Online-Archiv Die wiedergefundene Zeit

Moers · 22 Jahre, in denen Moers ein Spiegel der Welt war - die Spielzeiten unter der Intendanz von Ulrich Greb wandern jetzt ins Online-Archiv.

Sina Corsèl, Anna Dieren und Ulrich Greb vor der Projektion des Online-Archivs.

Foto: tw

Üblicherweise wird zum Ende einer Intendanz - zumal, wenn sie weit länger als die üblichen fünf Jahre währte - ein Buch gemacht, das sich üblicherweise vor allem der Intendant selbst anschaut: „Schau mal, wie toll ich war.“ Auch Ulrich Greb ist „wahnsinnig stolz“ auf die vergangenen 22 Spielzeiten am Schlosstheater und hat auch allen Grund dazu. Trotzdem gibt’s kein Buch, sondern „Hier entsteht das Schlosstheater Moers Archiv“, nämlich hier: https://schlosstheater-moers-archiv2003-2024.de/.

„Wir sind als Schlosstheater ja immer auf der Suche nach neuen Erzählformen“, sagt Ulrich Greb zur Entscheidung. Online sei einfach zeitgemäßer, und weil von Anfang an viel mit Video gearbeitet bzw. zu fast jeder Produktion ein Video-Trailer gemacht wurde, lag ein Online-Archiv quasi auf der Hand.

„Wann wurde das Theater geflutet? Warum stand eine sprechende Ratte im Park? Und was hat es mit dem Satanismusverdacht im Zillertal auf sich?“ Mit diesen Fragen wird der Besucher des Online-Archivs begrüßt und dazu eingeladen, sich durch die Produktionen von 22 Jahren zu klicken. Bis zur Spielzeit 2011/12 haben sich Dramaturgin Sina Corsèl und Regieassistentin Anna Dieren schon zurückgearbeitet, demnächst sollen unterm Reiter „Spielzeiten“ alle von 2003/04 bis zur gerade ablaufenden 2024/25 zu finden sein - wobei, auch das ein Vorteil der Online-Lösung gegenüber einem Buch - immer nachgelegt werden kann, etwa mit Erinnerungen bzw. Ergänzungen des Publikums. Auch Ulrich Greb wird das Archiv über sein Dienstende am 31. August hinaus „ehrenamtlich weiter begleiten“. Er hat auch schon einige „Erinnerungssplitter“ für die persönliche Suche beigesteuert, von „Sex im Kopf und Puppenkörper“ (zu „Der Drang“ in der ersten Spielzeit) bis zu „Walhall in der Tiefgarage“. Es soll auch noch die Möglichkeit der Schlagwortsuche eingerichtet werden, und das ist dringend zu wünschen, denn schon beim flüchtigen Surfen durchs bisherige Angebot wird deutlich: Theater, die flüchtige Kunst des Augenblicks, gelingt es immer wieder, seine Gegenwart wie im Spiegel oder im Brennglas einzufangen, und dem Schlosstheater ist das besonders oft gelungen, als mit der „Pest“ nach Camus 2019 die Corona-Pandemie quasi erst vorweggenommen wurde und dann 2020 nicht mehr gespielt werden durfte - und sechs Tage nach Fertigstellung der Stream-Fassung Frank Wickermann starb ... Und als 2021 „21 Lovesongs“ bundesweit Aufsehen erregten, weil sie bewiesen, dass Theater auch online nicht im Abseits stehen muss. Oder als in „#vergissmeinnicht“ zwei der drängendsten Fragen der Gegenwart - die nach dem selbstbestimmten Ende und die nach den Grenzen der Künstlichen Intelligenz und unserer Möglichkeiten überhaupt - eine geniale Groteske ergaben. Und ... „Man soll sich in diesen Erinnerungskammern verlieren können“, sagt Ulrich Greb.