Wobei dies mit runden Geburtstagen so eine Sache ist, denn die Geschichte der Awo ist zweigeteilt: Die zwölf Jahre nationalsozialistisches Terrorregime waren für die aktiven und passiven AWO-Mitglieder ein tiefer Einschnitt, denn der Verband, der vor nunmehr 98 Jahren als sozialdemokratische Selbsthilfe-Organisation gegründet wurde, war den braunen Machthabern ein Dorn im Auge. So versuchte man 1933 die AWO in die so genannte deutsche Arbeitsfront einzugliedern, was aber kaum gelang. Stattdessen fanden sich die Aktiven der AWO zum Teil in Gefängnissen, Strafkolonien der Wehrmacht und in Konzentrationslagern wieder. Andere aktive Mitstreiter zogen sich zurück und zum Teil gelang es, die diversen Hilfsmittel der Organisation in Sicherheit zu bringen.
isela Döntgen: „Ganz wichtig waren auch die Kinderfreizeiten, die die Arbeiterwohlfahrt anbot. Ob die Fahrt gelungen war, wurGisela Döntgen zu den AWO-Kinderfreizeiten: „Ob die Fahrt gelungen war, wurde daran gemessen, wie viel jedes Mädchen oder jeder Junge nach den drei Wochen zugenommen hatte.“ Foto:
So tauchten beispielsweise die Nähmaschinen aus den AWO-Nähstuben nach dem Krieg wieder auf, damit auf ihnen Kleidung ausgebessert oder aus Reststoffen neue gefertigt werden konnte. Bereits vor Kriegsende hatten sich ehemalige AWO-Mitglieder getroffen, um einen Neuanfang vorzubereiten. Zunächst waren jedoch die Menschen dran. Da die ehemaligen AWO-Mitglieder als Mitläufer des Terrorregimes unverdächtig waren, hatte die britische Besatzungsmacht auch sie dafür ausersehen, Care-Pakete zu verteilen. Mit zehn klapperigen Fahrrädern ging es nach Düsseldorf, wo die Pakete zu Verteil-Stationen in Duisburg gebracht wurden, um den Inhalt nach Bedürftigkeit aufzuteilen. „Für jeden gab es dabei zum Beispiel 80 Zentimeter Nähgarn. So viel brauche ich, wenn ich mir mal einen Knopf annähen muss“, lacht der heutige AWO-Duisburg Geschäftsführer Wolfgang Krause und fügt an: „Damals war das ein unglaublicher Schatz!“
Parallel dazu wurden erste Organisationsgespräche geführt: Es sollte jedoch noch bis zum Sonntag, 27. Oktober 1946, dauern, bis die AWO-Duisburg während einer Delegiertenversammlung in der Meidericher Hollenbergschule offiziell gegründet wurde. Ähnlich verliefen auch die Entwicklungen und Gründungen in den heutigen Stadtteilen Rheinhausen, Rumeln-Kaldenhausen, Homberg und Walsum, betont Gisela Döntgen, Vorsitzende des AWO-Ortsvereins Rheinhausen. Dabei haben es die Archivare und Geschichtsschreiber in Sachen AWO-Geschichtsschreibung nicht leicht, denn die bitteren Erfahrungen aus der Nazizeit sorgten dafür, dass viele der ersten Sitzungsprotokolle ohne Namen oder gar Anschriften der Beteiligten blieben. Manches ist fast nur aus späteren Erzählungen bekannt.
Grundsätzlich unterschied sich die Arbeit der AWO vor 1933 und nach dem Krieg nur unwesentlich. Die Arbeiter wollten sich selbst helfen und organisierten über die Mitgliedschaft in der AWO Kindererholungsmaßnahmen mit freiwilligen Helfern, erste Familien-Erholungsfahrten oder auch Stadtranderholungen. Auch ein Kindergarten wurde gebaut, wofür der Ruhrorter AWO-Distrikt – Vorläufer der Ortsvereine – verantwortlich zeichnete.
Manfred Dietrich, heutiger Vorsitzender des Wohlfahrtsverbandes mit mehr als 3.000 Mitgliedern und über 800 hauptamtlich Beschäftigten, betont: „Vieles was damals begann, existiert heute meist in anderer Form weiter.“ Dazu zählen beispielsweise die „Mütterschule“, aus der sich die AWO-Familienbildung entwickelte. Aus der „Hauspflege“ wurden die ambulanten Dienste der AWOcura. Nur die Jugendgerichtshilfe hieß damals wie heute „Jugendgerichtshilfe“.
Und Gisela Döntgen ergänzt: „Wir sind unseren Prinzipien immer treu geblieben und haben uns deshalb verändert und angepasst. Denn Probleme gibt es nach wie vor, nur sind sie zum Teil andere als vor 70 Jahren.“