850 + 5 Jahre Oedt - Spuren der Geschichte 2 Die Besiedlung des Oedter Landes von der Steinzeit bis zum Mittelalter

Grefrath-Oedt · Im September 2025 feiert Oedt sein „850+5-jähriges“ Bestehen. Damit ist aber nicht das Alter des heutigen Ortsteiles von Grefrath gemeint. Oedt ist viel älter.

Grefrather Stadtteil feiert Jubiläum: 850 + 5 Jahre Oedt
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Bilder erzählen Geschichte – Historische Gebäude und Bauwerke, die es heute noch gibt.

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Foto: Alfred Knorr

Im Jahre 1170 wurde Oedt in einer Urkunde des Abtes Robert der Benediktinerabtei Gladbach (Mönchengladbach) im Zusammenhang mit der Erwähnung einer Kirche oder Kapelle zu „hude“ erwähnt. „hude“ oder „ude“ bedeutet so viel wie sumpfiges Land oder auch Fährstelle, denn hier musste die Niers überquert werden.

Indes: Archäologische Funde zeigen, dass dieses Gebiet schon viel früher besiedelt war. Funde aus der Jungsteinzeit (5800 bis 4000 vor Christus) in der Niers- und Schleckniederung zeugen erstmals von Menschen in unserer Gegend. Sie könnten Nomaden oder als kleine Dorfgemeinschaft vorübergehend sesshaft gewesen sein. Sie arbeiteten mit Beilen, Klopfsteinen, Schabern und Klingen aus Feuerstein.

Es kam einer Sensation gleich, als bei Oedt im Schlamm der Niers ein stark mit Patina überzogenes Bronzeschwert gefunden wurde. Die Bronzezeit wird von Archäologen von 1700 bis 1100 vor Christus angegeben. Es war der erste Bronzefund im Rheinland. Das 43,5 Zentimeter lange Kurzschwert ist sehr gut erhalten. Die Klinge mit Verstärkungsrippe, ebenfalls aus Bronze, ist nur 33,8 Zentimeter lang, aber sehr spitz. Der Griff weist Feuervergoldungen und eingelassene Nieten aus Gold auf. Ob es sich bei diesen Funden immer um Opfergaben handelte oder ob sie mitunter auch beim Übersetzen über Flüsse und Bäche in sumpfiges Gebiet verloren gingen, wissen wir nicht. Jedenfalls liegen an der Stelle, wo sich alte Funde häufen, oft genug auch alte Flussübergänge. Wenn das wertvolle Bronzeschwert eine Opfergabe war, wie es in dieser Zeit häufig vorkam, dann wurde aus heutiger Sicht hier Wertvolles als bronzezeitliches Flussopfer an die Götter verschwendet.

Auf einer leichten Erhebung im ehemaligen Oedter Ortsteil Hagen gegenüber der Schule wurde 1942 beim Sandgraben eine beschädigte Urne mit Leichenbrand gefunden. Als Leichenbrand bezeichnen Archäologen die Asche von Toten nach einer Brandbestattung. Die Eisenurne entstammt der älteren Eisenzeit zwischen 800 und 450 vor Christus. Die Urne ist leider verloren gegangen. Weitere eisenzeitliche Funde gab es in der Grasheide in Mülhausen. Dort fand man Scherben von Tellern.

Ebenfalls in der Grasheide sowie in Hagen fand man zusammen mit vorgeschichtlichen Siedlungsresten auch Siedlungsreste aus der römischen Zeit: Randscherben von Schüsseln, Töpfen, Bechern und Fässern. Sie wurden auf das 2. und 3. Jahrhundert vor Christus datiert. Aus diesen Streufunden lässt sich ein Nachweis von römischen Siedlungen auf Oedter Gebiet nicht nachweisen. Immerhin untersuchte hier der Kunsthistoriker und Archäologe Günther Binding (geb. 1936) in den 1960er Jahren an der Niers eine Brücke aus römischer Zeit.

Seit 2022 sind an der St. Vituskirche in Oedt zwei bemerkenswerte Steine zu sehen. Die quaderförmigen schweren Bausteine stammen aus dem Liedberger Steinbruch nahe Korschenbroich. Dieser Steinbruch ist seinerzeit nur von den Römern abgebaut worden. Sie verwendeten diese Bausteine zur Errichtung ihrer Befestigungen und Siedlungen. Geologen ordnen diese Fundsteine einer Anlegestelle an der Niers zu, wo sie auch gefunden wurden, nämlich an der Ostseite des alten Niersverlaufes unterhalb der Kirche St. Vitus. Wo eine Anlegestelle gebaut wird, sollte sich auch eine Befestigung befunden haben und evtl. auch eine kleine Siedlung, die dann „loca huda“ geheißen haben könnte. Weitere Funde sollten künftig diese These der Geologen noch bestätigen.

Im Niederfeld, westlich der Grasheider Straße, kam es 1926 ebenfalls zu einem bemerkenswerten archäologischen Fund. Der in Lobberich geborene Archäologe Albert Steeger (1885-1958) meldete ein fränkisches Grabfeld mit Waffen und Gefäßbeigaben aus dem 7. Jahrhundert nach Christus und schließt aus diesem Grunde auf ein Frühbesiedlungsgebiet an dieser Stelle. Die Prähistorikerin Gudrun Loewe (1914-1994) dagegen erscheint diese Fundstelle mitten auf dem sandig-kiesigen Mittelterrassenstück als Siedlungsplatz ganz ungeeignet. Fränkische Funde, die fränkische Zeit wird ab dem 5. Jahrhundert nach Christus gerechnet, sind im Rheinland nicht zahlreich, da die Franken den Ziegelbau der Römer nicht fortsetzten. Steeger fand an der heute landwirtschaftlich genutzten Stelle im Einzelnen eiserne Schildbuckel und Lanzenspitzen, Kurzschwerter, Bronzebeschläge und Bronzeschnallen sowie Tontöpfe in verschiedenen Formen. Mit den Funden vom „Gräberfeld“ hat Steeger dem Kramer-Museum in Kempen auch einen großen Löffelbohrer als Grabbeigabe übergeben.

Ein weiterer Fund aus der Frankenzeit wurde ebenfalls 1926 bei der Niersregulierung in Mülhausen südlich der heute stillgelegten Eisenbahnlinie Kempen – Kaldenkirchen in 1,20 Meter Tiefe entdeckt. Das eiserne, damaszierte Schwert wird der Wikingerzeit zwischen 800 und 1066 nach Christus zugeordnet. Mit Griff hat es eine Länge von 81 Zentimetern.

Blaugraue und Siegburger Scherben, also Siegburger Steinzeug aus dem Spätmittelalter ab dem 14. Jahrhundert, finden sich weithin gestreut im Oedter Auffeld wie auch im Niederfeld und bezeugen die Beackerung dieser Fluren im Mittelalter.

Noch einmal zurück zu den Römern: Gestützt durch archäologische Landaufnahmen sowie durch die Luftbildarchäologie kann man zu der Vorstellung gelangen, dass in den Jahrhunderten, als das Rheinland Bestandteil des römischen Reiches war, eine planmäßige Erschließung des Landes erfolgte. Alte Wege und Straßen, die vor der planmäßigen Besiedlung entstanden sind, liegen eher abseits der späteren Hofreihen, die auf Erhöhungen liegen und auf größere Strecken durchgehen.

Im Amt Oedt gibt es einen solchen durchgehenden Straßenzug von Hagen über Oedt und Mülhausen zur Neersdommer Mühle. In alten Karten heißt dieser Straßenzug auf der ganzen Strecke Hohe Straße oder Hoher Weg. Schon zur römischen Zeit führte diese Straße über Kempen-Wall, der Schloot nach Wachtendonk und weiter nach Straelen. An dieser Straße wurden zahlreiche Römerfunde gemacht. In Oedt und Mülhausen liegt dieser alte Weg, heute heißt ein Abschnitt dieses Weges Grasheider Straße, auf einem Geländerücken von 36,5 Meter Höhe über Null und ist damit etwa 10 Meter höher als die Gewässer Niers und Schleck, die die Straße auf eine lange Strecke begleiten. Der Höhenrücken liegt westlich am Rand der Kempener Platte. Diese Randzone war sandig und mit einer dünnen Lößlehmdecke überzogen, weniger dicht bewaldet, leichter zu roden und damit leichter zu bearbeiten als die lehmige Kempener Platte. Hier werden sich zuerst die Siedler niedergelassen haben, denn hier gab es Wasser und Weideland. Damit stimmt der archäologische Befund überein, der die Mehrzahl der germanisch-römischen und fränkischen Funde dieser sandigen Randzone zuordnet.

Nach der römischen Zeit wird sich langsam eine Siedlungszone um die Platte gelegt haben. Das geht auch aus einer Reihe altertümlicher Namen hervor, wozu auch „hude“, wovon Oedt abgeleitet ist, gehört. Mülhausen dagegen gehört nicht zu den Siedlungsgründungen aus Hofreihen. Mit Ausnahme der Neersdommer Mühle, die zuerst 1167 erwähnt wird, wurden die Mülhausener Höfe erst später gegründet. Die ältesten von ihnen, die als Einzelhöfe wie eine Kette entlang der Gewässer aufgereiht erscheinen, stammen aus dem 15. Jahrhundert. An der Niers in Mülhausen siedelte sich 1382 zuerst die kurfürstliche Mühle an und danach die Höfe, Werkstätten und Wohnhäuser an.

Die Siedlungszone um die Kempener Platte ist spätestens der fränkischen Zeit zuzuordnen. Die Besiedlung der Platte mit starker Bewaldung und mit schwererem Boden, auf der auch nur wenige archäologische Funde gemacht wurden, erfolgte erst später. Entlang der Flussläufe Niers, Schleck, Floeth und Schup siedelte man nach dem Einzelhof-System. Der Grund für die Einzelsiedlungen und für den Abstand der Höfe untereinander ist darin zu sehen, dass jeder Siedler möglichst um seine Siedlerstelle herum günstiges Weideland für die Viehhaltung benötigte.

Alle bisherigen Erkenntnisse gründen sich auf archäologische Funde. Ab dem 10. Jahrhundert geben auch Urkunden und Siegel Auskunft über die Historie unserer Heimat. Nach dem Mönchengladbacher Urkundenbestand für das 10. Jahrhundert lässt sich „erfreulich sicher“ erschließen, dass der eigentliche Gründungsvorgang von Oedt im 10. Jahrhundert liegt, vielleicht schon im 9. Jahrhundert einsetzte, wie der rheinische Archäologe Hugo Borger (1925-2004) in seinem Festvortrag anlässlich der 800-Jahrfeier der Gemeinde Oedt im Jahre 1970 vortrug. Borger begründete dies mit dem Übergang von fränkischem Land in die Hand der Kölner Kirche, des personifizierten Fürsterzbischofs von Köln.

Im 10. Jahrhundert kam das Oedter Land zur damaligen Erzdiözese Köln, erhielt also erstmals einen Landesherrn und einen Herrenhof, einen Salhof, dem die übrigen Höfe unterstanden. Im Jahre 954 übertrug Kaiser Otto I. seinem Bruder, dem Erzbischof Bruno (953-965) von Köln, die herzogliche Würde von Lothringen. Damit kam auch der Kempener Bezirk einschließlich Oedt, der ursprünglich zu Niederlothringen gehörte, zum Erzbistum Köln.

Wir wissen, dass der Kölner Erzbischof Gero (969-976) die Benediktinerabtei zu Gladbach, gegründet 973, mit Oedter Stiftungsgütern ausstattete. Dazu gehörte der Haupthof (Salhof, Fron- oder Herrenhof) sowie die drei Nebenhöfe (Salhufen genannt), die in Abhängigkeit vom Salhof standen: Durmule (Dormelshof nördlich der Kirche), zoe Utzel (Oedelshof im Auffeld) und zoe Rath (Rathhof im Auffeld). Diese waren nach einer Rechnung von 1382 noch in vollem Eigentum des Erzbischofs. 1609 gehörten nach einer Auflistung des Oedter Lokalhistorikers Franz Kogelboom (gest. 1910) zum Oedter Salhof 43 kleinere Höfe. Die Hofbesitzer, die die Höfe bewirtschafteten, hatten Abgaben in Form von Zinsen (Grund- und Fahrzins), Kurmutsabgabe (Geldbetrag z. B. für eine Kuh oder ein Pferd) und evtl. noch Heiratsabgaben zu zahlen und meist auf Margarethentag (20. Juli), teils auch auf Martini (11. November) abzuführen. Vom Oedter Salhof, auf deren Grund heute das ehemalige Pastorat an der St. Vituskirche steht, ist bis auf geringe Reste alles verlorengegangen.

In einer Urkunde aus dem Jahre 1085 vermacht Erzbischof Sigewin von Köln (1079-1089) der Abtei Gladbach den Novalzehnten, also die Abgaben von urbar gemachten Ländereien im Kempener Kirchspiel, zu dem auch Oedt zählte, um den Lebensunterhalt der Brüder zu verbessern. Ausdrücklich bemerkt Erzbischof Sigewin in dieser Urkunde, dass seine Vorgänger, die Erzbischöfe Hermann (1036-1056), Anno (1056-1075) und Hidorf (1075-1079), in gleicher Weise Schenkungen vorgenommen hätten. Demnach muss die Abtei Gladbach bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhundert in Oedt Einkünfte oder Ländereien besessen und bewirtschaftet haben.

Im Bereich des Salhofes entstand nach den archäologischen Befunden in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundert ein kleiner Kirchenbau als Hofeskapelle. Hierbei handelt es sich nach archäologischen Befunden um einen romanischen Saalbau von 13,66 Meter Länge und 6,66 Meter Breite. Diese älteste Siedlungsschicht von Oedt war damit ein fränkischer Hofverband mit einer kleinen Kapelle für die klostereigenen Salhofbewohner, die aber immer noch pfarrrechtlich zu St. Peter in Kempen gehörten. Dieser älteste Kern von Oedt ist noch in der Urkatasterkarte von 1825 ablesbar. Der Kapellenbereich ist durch unregelmäßige Parzellierung mit verstreuter Bebauung gekennzeichnet.

Ein weiteres Indiz für die Datierung des Hofverbandes mit Kapelle ist die Vergabe des St. Vitus-Patroziniums, eine für das 10. Jahrhundert geläufige Schutzherrschaft über eine Kirche. Auch die Abtei Gladbach selbst ist bis heute dem St. Vitus geweiht. Unter den Kurfürsten von Köln als Landesherrn blieb schließlich das Amt Oedt über 800 Jahre bis zur französischen Herrschaft im Rheinland in der mittelalterlichen feudalistischen und agrarischen strukturierten Form bestehen.

Aber erstmals urkundlich fassbar wird Oedt in einer Urkunde des Gladbacher Abtes Robert aus dem Jahr 1170. Auf dieses Jahr geht das Ortsjubiläum in Oedt zurück. Über diese Urkunde wird in der nächsten Folge berichtet. (Text und Fotos: Alfred Knorr)