In der Niederrheinhalle Wesel zeigte sich, dass viele Menschen mit Handicap und ihre Familien sehr besorgt sind über die geplanten Reformen. Die Veränderungen drohen, die Lebenssituation von Menschen mit geistigem Handicap massiv zu verschlechtern. Dagegen stemmen sich die vier Lebenshilfen, die gemeinsam dafür kämpfen, dass Betroffene mit kognitiver Beeinträchtigung nicht die Verlierer der Reform sind.
Das Thema Bundesteilhabegesetz und die drohenden Folgen für die Betroffenen brennen den Menschen auf den Nägeln: Das zeigte sich am Montagabend bei der ersten Informationsveranstaltung der Lebenshilfen Dinslaken, Gelderland, Kleve und Unterer Niederrhein in der Niederrheinhalle in Wesel. Welche Auswirkungen können die geplanten Änderungen für Menschen mit Handicap haben? Welche Lebensbereiche sind betroffen? Und: Wie können sich Betroffene, ihre Familien und interessierte Bürger gegen die drohende Verschlechterung der Lebenssituation wehren und für ein fortschrittliches Bundesteilhabegesetz kämpfen? Fragen wie diese diskutierten rund 300 Besucher mit und ohne Handicap. Als Experten nahmen auf dem Podium Vertreter der vier Lebenshilfen Platz: Margot Stieler (Vorstandsvorsitzende Lebenshilfe Dinslaken), Meinhard Reichelt (Geschäftsführer Lebenshilfe Dinslaken), Adelheid Ackermann (Vorstandsvorsitzende Lebenshilfe Gelderland), Günter Voß (Geschäftsführer Lebenshilfe Gelderland), Hermann Emmers (Geschäftsführer Lebenshilfe Kleve), Werner Esser (Vorstandsvorsitzender Lebenshilfe Unterer Niederrhein) und Verena Birnbacher (Geschäftsführerin Lebenshilfe Unterer Niederrhein).
Aus verschiedenen Blickwinkeln stellten die Experten die geplanten Reformen, deren Folgen und ihre Forderungen an den Gesetzgeber vor. So setzen sich die vier Lebenshilfen dafür ein, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung auch weiterhin Leistungen aus der Eingliederungshilfe zustehen. Denn laut dem neuen Gesetz müsste ein Mensch in mindestens fünf von neun Lebensbereichen wie Arbeit, Selbstversorgung oder Gemeinschaftsleben Unterstützungsbedarf nachweisen, um noch Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Die Folge wäre, dass Menschen, die die Mindestkriterien nicht erfüllen, ihren Alltag kaum oder gar nicht mehr bewältigen könnten und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verlören. Im Bereich der Arbeit fordern die Lebenshilfen, dass alle Menschen auch mit hohem Unterstützungsbedarf in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten können. Dieses Modell kommt in Deutschland zurzeit nur in NRW zur Anwendung. Im Wettbewerb mit alternativen Anbieter kämpfen die Lebenshilfen überdies dafür, dass für deren Werkstätten dieselben Standards etwa bei Personalschlüssel, Raumgrößen und individueller Förderung gelten. Dies ist nicht der Fall. Es ist aus Sicht der Lebenshilfen aber erforderlich, damit für Menschen mit Handicap in allen Werkstätten bestmögliche und gerechte Arbeitsverhältnisse angeboten werden können.
Die Veranstaltungen in Wesel besuchten auch viele Mitglieder der Selbstvertretungsgremien innerhalb der Lebenshilfen. Sven Nowak vom Lebenshilfe-Rat der Lebenshilfe Unterer Niederrhein fasste die Forderungen nach einem fortschrittlichen Bundesteilhabegesetz aus Sicht der Menschen mit Handicap noch einmal zusammen. Bei den Betroffenen war die Verunsicherung angesichts der drohenden Veränderung spürbar groß. Der Abend endete nach vielen besorgten Fragen und interessanten Diskussionen mit einem offensiven Appell von Margot Stieler, der Vorstandsvorsitzenden der Lebenshilfe Dinslaken: "Wir leisten weiter Aufklärung und kämpfen alle gemeinsam gegen die massiven Verschlechterungen, die der derzeitige Gesetzentwurf bringt!"