Um 12 Uhr mittags schwebt die mehr als acht Tonnen schwere und 16 Meter hohe Turmspitze von einem Kran in die Höhe gezogen über ihrem angestammten Platz. Langsam wird sie abgesenkt, um millimetergenau an den vorgesehenen Stellen eingefädelt zu werden. Dass es sich um eine aufregende und sehr besondere Operation handelt, merken sogar die Tauben, die während des Hubs in großen Schwärmen die Kirche umkreisen und dabei eine Drohne zum Absturz bringen, die im Video das spektakuläre Ereignis festhalten soll. Dann ist es so weit: Die Helmspitze sitzt an ihrem Platz. Sie muss noch aufwendig befestigt werden, aber der chirurgische Präzision erfordernde Hub ist gelungen.
Dabei hatten größere und kleinere Schwierigkeiten den Verantwortlichen viel Mühe gemacht, allem voran das stürmische Wetter, das in den vergangenen Tagen herrschte. Ein erster Zeitplan musste umgestoßen werden, der Hub wurde auf Mittwoch, 29. Oktober, ab 8 Uhr terminiert. Die Windverhältnisse schienen dann günstig. Und tatsächlich war es an diesem Vormittag ruhig und teilweise sogar sonnig. Zwei Kräne kamen auf der seit Montag gesperrten Hauptstraße zum Einsatz, einer, um die grazil wirkende, aber acht Tonnen schwere Turmspitze zu heben, einer, um Spezialisten von außen an den Turm heranzubringen.
Erst gab es noch Probleme mit den Längen der Gurte, die die Turmspitze stabil hielten, auf, die aber rasch behoben werden konnten. Um 11.20 Uhr begann der 450-Tonnen-Kran das aufwendig sanierte Gebäudeteil nach oben zu bewegen, gespannt beobachtet auch von Vertreterinnen und Vertretern der Rheydter Kirchengemeinde. „Die Hauptkirche liegt den Rheydter Bürgerinnen und Bürgern sehr am Herzen, sie steht für Heimat und Zusammengehörigkeit, aber auch für Spiritualität. Nicht umsonst verweist der Kirchturm nach oben“, stellt Stephan Dedring, Pfarrer der Rheydter Kirchengemeinde, fest. Unter den Passanten und Zuschauern ist die Freude über die Rückkehr der Turmspitze spürbar. „Mir hat wirklich etwas gefehlt“, sagt eine Zuschauerin. Und eine Radfahrerin steigt vom Fahrrad, schaut zum wiederhergestellten Turm hinauf und sagt aus tiefstem Herzen: „Wie schön.“
Die Turmspitze war fast auf den Tag genau vor vier Jahren abgenommen worden. Ihre Abnahme und Sanierung waren notwendig geworden, weil das tragende Stahlgerüst von Rost zerfressen war. Sie sind Teil einer Gesamtsanierung der äußeren Gebäudehülle der Hauptkirche. Auch die Eisenstifte, die Bögen und Säulen der Fassade verbinden, sind vom Rost angegriffen und sprengen nun den Stein von innen.
Die Sanierung der Helmspitze kostet die Kirchengemeinde als Eigentümerin des Gebäudes rund 1,1 Millionen Euro, davon sind rund 900 000 Euro zuwendungsfähig. Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen hat Fördermittel in Höhe von knapp 23 Prozent der zuwendungsfähigen Gesamtausgaben bereitgestellt. Der Bauverein sammelt Spenden und konnte der Gemeinde bereits die im Finanzierungsplan für diesen Bauabschnitt zugesagten 200 000 Euro zur Verfügung stellen.
Das hohe Spendenaufkommen zeigt, wie sehr die evangelische Hauptkirche den Bürgerinnen und Bürgern am Herzen liegt. Die zwischen 1899 und 1902 erbaute Kirche prägt die Silhouette Rheydts. Einschließlich des vier Meter hohen Kreuzes auf dem Turm stellt die Kirche das höchste Gebäude der Rheydter Innenstadt dar.