Die Unterscheidung klingt zunächst akademisch, ist aber in der Praxis der entscheidende Faktor für den Erfolg eines Löschantrags. Ist die Aussage „Der Service war unfreundlich“ nun eine unantastbare Meinung oder ein überprüfbarer Fakt? Und was passiert, wenn eine Behauptung zwar negativ, aber objektiv wahr ist? Die Fachanwältin für Informationstechnologierecht, Corinna Bernauer von der Juraport.sh Rechtsanwalts-GmbH & Co. KG, beschäftigt sich, genau wie ihr Kollege Rechtsanwalt Philipp Gabrys, täglich mit genau diesen Feinheiten. Die auf IT-Recht spezialisierte Kanzlei betreibt auch eine Sparte namens „Die Bewertungslöscher“, deren Ziel es ist, Unternehmen vor ungerechtfertigten Angriffen durch Bewertungen zu schützen. Die Zusammenarbeit mit ihnen garantiert dabei, dass jeder Fall nicht nur aus der Perspektive des Reputationsmanagements, sondern vor allem auf einer fundierten rechtlichen Basis bewertet wird. Denn Google entscheidet nicht nach Bauchgefühl, sondern nach strengen juristischen Kriterien, die den Unterschied zwischen einer zulässigen Meinungsäußerung und einer rechtswidrigen Behauptung definieren.
Frau Rechtsanwältin Bernauer, in der Theorie klingt die Unterscheidung simpel: Eine Meinung ist subjektiv, eine Tatsache ist objektiv. In der Praxis verschwimmen diese Grenzen auf Google jedoch oft in einem einzigen Satz. Woran machen Sie bei der Erstanalyse einer Rezension fest, ob es sich um eine angreifbare Tatsachenbehauptung handelt oder ob der Verfasser sich noch im Schutzraum der freien Meinungsäußerung bewegt?
Corinna Bernauer: Dazu gibt es ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die bereits seit dem „Lüth-Urteil“ aus dem Jahr 1958 etabliert ist. Darin betonte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft schlechthin konstitutiv für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung sei. Es gebe dementsprechend eine grundsätzliche Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, insbesondere aber im öffentlichen Leben. Nach der sog. Wechselwirkungslehre sind damit Aussagen so auszulegen, dass zu prüfen ist, ob eine Aussage zumindest auch noch einen Anteil an Meinung hat. Diese Aussagen sind durch die Meinungsfreiheit geschützt.
Bleiben wir bei den Tatsachenbehauptungen. Wenn ein Rezensent schreibt „Ich habe zwei Stunden auf mein Essen gewartet“, ist das eine überprüfbare Aussage. Wie gehen Sie vor, wenn diese Behauptung schlichtweg unwahr ist – welche Beweislast liegt hier beim Unternehmen und wie reagiert Google, wenn Aussage gegen Aussage steht?
Corinna Bernauer: In solchen Fällen liegt die volle Beweislast bei uns. Für eine solche Bewertung müssten die Umstände schon wirklich außerordentlich günstig sein, um sie löschen zu können. Taucht die Bewertung nach wenigen Tagen bereits auf, ist der Gast dem Personal bekannt, und kann sich das Personal noch genau daran erinnern, dass das Essen nach einer halben Stunde kam? Dann kann man Google diese Zeugenaussagen vorlegen, und in der Regel muss Google dann auch die Bewertung löschen. Allerdings sind solche Fälle selten. Die Beweislastverteilung erschwert hier die Rechtsdurchsetzung deutlich.
Ein Vorfall hat stattgefunden, er war negativ, und der Kunde schreibt darüber. Ist eine solche Bewertung für ein Unternehmen faktisch „unlöschbar“, weil sie der Wahrheit entspricht, oder gibt es auch hier juristische Ansatzpunkte, etwa im Bereich des Datenschutzes oder der Verhältnismäßigkeit, um dagegen vorzugehen?
Corinna Bernauer: Datenschutz ja. Wenn Namen der Beteiligten, insbesondere von einfachen Angestellten, genannt werden, liegt eine Datenverarbeitung ohne Rechtsgrundlage vor. Solche Bewertungen löscht Google normalerweise schnell. Mit „Verhältnismäßigkeit“ nehme ich an, Sie meinen Bewertungen, die zwar wahr sind, aber ohne Verschulden des Unternehmers negativ ausgefallen sind? Wie beispielsweise eine schlechte Bewertung für einen Makler, bei dem ein lange geplanter Hauskauf doch nicht zustande gekommen ist, weil der Verkäufer in letzter Sekunde doch nicht mehr verkaufen wollte? Hier muss ich Sie leider enttäuschen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt auch dann, wenn die Bewertung möglicherweise aus Sicht des Unternehmers „unfair“ ist.
Oft werden Meinungen mit Tatsachen vermischt, etwa wenn ein Kunde aus einer subjektiven Enttäuschung heraus objektive Mängel erfindet, um seiner Kritik mehr Gewicht zu verleihen. Wie entwirren Sie solche Misch-Rezensionen juristisch, um den angreifbaren Teil für die Löschung zu isolieren?
Corinna Bernauer: Das ist immer eine Frage des Einzelfalles. Ob hier Erfolgsaussichten für die gerichtliche Durchsetzung einer Löschung bestehen, hängt sehr davon ab, wie stark die erfundenen objektiven Mängel „Kernaussage“ der Bewertung sind und wie viel geschützte Meinung neben der falschen Tatsachenbehauptung noch enthalten ist. Das ist also sehr viel Auslegungssache. Hier entscheiden auch die Gerichte bisweilen sehr unterschiedlich.
Viele Unternehmer fürchten, dass der Versuch, eine Bewertung löschen zu lassen, als Zensur wahrgenommen wird. Warum ist es aus Ihrer Sicht dennoch wichtig, gerade bei falschen Tatsachenbehauptungen eine klare Grenze zu ziehen, und warum reicht ein bloßer Antwortkommentar des Inhabers hier oft nicht aus, um den Schaden zu begrenzen?
Corinna Bernauer: Potenzielle Kunden schauen selten genau in die einzelnen Bewertungen und lesen sich die Antwortkommentare durch. Die allermeisten prüfen nur den allgemeinen Schnitt, und dieser wird auch durch Bewertungen nach unten gezogen, auf die ausführlich geantwortet wurde. Bisweilen sieht man auch, dass Unternehmen sehr emotional auf negative Bewertungen reagieren, oder durch nichtssagende Textbausteine die Erfahrungen des Bewerters inhaltlich bestätigen (z.B. „Es tut uns leid, dass Sie eine solche Erfahrung machen mussten.“) Damit stellt sich ein Unternehmen völlig ohne Not viel schlechter dar als es eigentlich ist. Und das ist im Wettbewerb mit Konkurrenten, die ihre Bewertungen genau prüfen und ggf. auch entfernen lassen, natürlich auf Dauer fatal.
Abschließend ein Blick auf die Strategie: Wenn ein Mandant zu Ihnen kommt und unsicher ist, ob eine Bewertung „nur“ eine freche Meinung oder eine falsche Tatsache ist – welche Hausaufgaben sollte er gemacht haben, bevor er Sie und Ihr Team kontaktiert, damit die Chancen auf eine erfolgreiche Entfernung steigen?
Corinna Bernauer: Die wichtigste Hausaufgabe ist, keine Antwort zu schreiben, und auch nicht versuchen, die Bewertung selbst zu löschen. Falls dies durch fehlerhafte interne Prozesse doch passiert ist, sollte die Antwort in jedem Fall wieder gelöscht werden. Die Anwälte müssen jedoch darauf hingewiesen werden, dass hier bereits eine Antwort geschrieben worden war, da diese natürlich bei einem Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen verwendet werden kann und die Chancen auf eine erfolgreiche Löschung verringert. Ansonsten sollte der Mandant natürlich Informationen gesammelt haben, ob es sich um einen Kunden handelt oder nicht, ob die Bewertung wahr ist oder nicht, und wenn sie nicht wahr ist, entsprechende Unterlagen oder die Namen und ladungsfähigen Anschriften von Mitarbeitern vorlegen, die als Zeugen dafür benannt werden können.
Vielen Dank, Frau Rechtsanwältin Bernauer, für diese tiefgehenden Einblicke in die juristischen Feinheiten.