Anratherin Sarah Easter von der Hilfsorganisation CARE: Die Menschen sichtbar machen Nur zwei fingerbreit Wasser

Stadt Willich/Somaliland · Nein, das hier ist nicht die Geschichte, die man vielleicht an einem Sonntagmorgen beim Frühstück lesen möchte. Doch sie muss erzählt werden. Und sie ist wichtig - so wichtig, dass sie auch auf eine Titelseite gehört.

Die Anratherin Sarah Easter in einem Camp in Somaliland. Foto: CARE/Saddam Mohamed

Foto: Saddam Mohamed

Diese Geschichte erzählt von der Anratherin Sarah Easter, die als Mitarbeiterin für die Hilfsorganisation CARE rund um den Globus unterwegs ist an Orten, wo Menschen in Not leben, sich vergessen fühlen, ja vielleicht sogar vergessen sind. Diese Geschichte erzählt auch von der 30-jährigen Farah aus Somaliland, die an einem Becher zwei fingerbreit abmisst, wie viel Wasser sie am Tag zu trinken hat. Ein Finger für ihr Baby, zwei fingerbreit für sie selbst. Mehr ist nicht drin.

Die 30-jährige Farah hält zwei Finger an ein Glas. Zwei fingerbreit - das ist das, was sie heute trinken kann. Für ihren jüngsten Sohn muss ein Finger reichen. Wasser, das gibt es im Camp nicht mehr umsonst. Drei US-Dollar kosten 20 Liter - Geld, das sie nicht hat. Dann sucht sie nach Wasser bei Nachbarn oder bei fremden Menschen. Manchmal, da gibt man ihr was ab. Dann misst sie das Wasser genau aus - zum Trinken, zum Kochen fürs Essen. Alltag im Camp in Somaliland.

Farah mit ihrem jüngsten Sohn Mus'ab. Mit ihren Finger an einem Becher misst sie ab, wie viel Wasser sie und ihre Kinder trinken können. Foto: CARE

Foto: CARE

Für Sarah Easter sind das Momente ihres Arbeitsalltages. Nicht immer schön - aber eben immer wieder. Und sie sind real. „Solche Erlebnisse erden“, sagt sie. Wir sind in Anrath, in ihrem Elternhaus. Denn eigentlich lebt die 34-jährige junge Frau in Berlin, arbeitet für die Hilfsorganisation CARE Deutschland. Knapp sieben Mal im Jahr ist sie für CARE unterwegs - an den unschönen Hotspots dieser Welt, dort, wo Menschen Hilfe benötigen, wo Menschen unter Dürre, Hungersnot, Wasserknappheit leiden, vor Gewalt und Krieg fliehen.

Die Anratherin Sarah Easter in einem Camp in Somaliland, hier spricht sie mit der 70-jähigen Aisha, die in einem der provisorischen Häuser lebt. Foto: CARE/Saddam Mohamed

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Gerade ist sie von einer Reise aus dem Kongo und Somaliland zurückgekehrt. Der Sudan stand auch auf ihrer Liste. Den Luxus und die Vorteile der ‚modernen westlichen Welt‘ wird sie nur kurz genießen - in wenigen Tagen geht es für sie weiter in die Ukraine. „Zum sechsten Mal bin ich dann in der Ukraine seit Beginn des Krieges“, erzählt sie. Dann ist sie wieder ganz nahe der Frontlinie. Angst habe sie nicht - wenn sie in Krisengebiete reist. „Die Arbeit von und mit CARE ist sicher. Ich bin sehr glücklich und froh über diesen Job“, sagt sie. Vor vier Jahren erst hat sie angefangen, für CARE zu arbeiten. Ein Job, der sie prägt, den sie liebt. „Mir ist es wichtig, die Menschen hinter den Katastrophen oder in den Krisen sichtbar zu machen, dazu beizutragen, dass sie gehört werden“, betont sie.

Ihre Eindrücke erzählt sie nach ihren Reisen Freunden oder in der Familie, schreibt für CARE auf deren Homepage entsprechende Berichte. „Solche Eindrücke machen natürlich was mit einem - aber über Gespräche und auch über das Schreiben kann ich sie gut verarbeiten“, so Sarah Easter weiter. Wie eben über die 30-jährige Farah. Oder über eine Frau, die ihr Wasser immer in einer halben Plastikflasche habe holen müssen und sich nun darüber gefreut hat, dass sie einen neuen Eimer bekommen hat. „CARE-Spendengelder kommen da an, wo sie gebraucht werden“, betont die Anratherin. Das ist ihr wichtig. 89 Cent eines jeden gespendeten Euros an CARE kommen den Hilfsprojekten zu Gute. „Schon der kleinste Cent kann Wasser bringen“, sagt sie. Trotzdem, es reiche nicht mal im Ansatz.

Das Problem sei, dass Spenden oft auch durch Aktionismus motiviert seien. Als Beispiel nennt sie die Hungersnot in Palästina. „Das Thema ist in den Medien omnipräsent“, erklärt sie. Dass aber Menschen durch das Erdbeben in der Türkei immer noch in Zeltstädten leben, das den Menschen im Sudan, Somaliland oder im Kongo Wasser und Nahrung fehlen - das wird dann oft vergessen. Dabei seien es nicht immer politische Fehlentscheidungen, die Länder in Krisen stürzen würden „...in Somaliland brennt die Sonne unerbittlich. Sie ist so heiß, dass die Erde risse bekommt“, sagt sie und meint damit, dass eben Klimaveränderungen extreme Dürren verursachen.

Das weiß Farah aus Somaliland nur zu gut. Sie war Landwirtin, hatte 50 Kamele, 200 Ziegen - dann kam die Dürre, die Tiere starben. Jetzt lebt sie in Not - wie viele andere Menschen. Im Camp in Somaliland leben - in provisorisch zusammen gezimmerten Hütten - 1 700 Familien, das sind 8 400 Menschen, die jeden Tag um ihr Leben kämpfen, auf der Suche nach Wasser und Nahrung sind. „Dann wird einem erst bewusst, wie gut es uns geht. Den Wasserhahn aufdrehen und ein Glas Wasser trinken, oder duschen gehen, im Supermarkt etwas einkaufen - Dinge die für uns alltäglich sind, von denen die Menschen in den Krisengebieten nicht mal zu träumen wagen“, sagt die Anratherin.

Ihr größter Wunsch: Überflüssig werden. „Wenn wir als Hilfsorganisation nicht mehr gebraucht werden würden“, sagt sie - wohlwissend, dass dies in dieser Welt nicht passieren wird. „Darum sind wir so auf Spenden angewiesen. Jeder Cent hilf, jeder Euro kommt da an, wo er gebraucht wird. Dafür steht CARE und bietet volle Transparenz an“, betont sie.

Für die Anratherin heißt es jetzt wieder Koffer packen für das nächste Hilfsprojekt in der Ukraine. Für Farah aus Somaliland heißt jeder neue Tag: Etwas zu Essen bekommen und Wasser finden. Für ihre Kinder, für sich selbst. Und wenn es nur ein Glas ist, zwei fingerbreit gefüllt mit Wasser.