Vielleicht das Bild des Films: Vater und Sohn auf dem Balkon unterhalten sich über die Zukunftsperspektiven – Stahler, Kokser oder Bergmann – und das nahe Hüttenwerk nebelt sie komplett ein. „Gut, dass Mutter keine Wäsche draußen hängen hat.“
„Verkitschte Staublungenromantik“ nennt der Berliner Autor Thomas Kapielski den Ruhrgebietsmakel, ewig den rauchenden Schloten nachzujammern. Adolf Winkelmann kennt diese Gefahr. „Aber das ist keine Gefahr für mich.“ Zu genau kann er sich an die Gewalt, die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit erinnern. „Ich hab’ da eingebaute Filter.“ Nicht die technischen Filter, mit denen bei Historienfilmen alles in so eine goldbraune Soße getaucht wird. Die hat er nicht benutzt, stattdessen „die Bilder gefragt: ’Wie wollt ihr aussehen?’“ Schwarz-weiß oder Farbe, klassisch 4:3 oder Breitleinwand. „Ich beschäftige mich ja schon lange mit Film“ – Winkelmann hat u.a. 1981 mit „Jede Menge Kohle“ den ersten deutschen Spielfilm mit Dolby Stereo gedreht – „und habe die ganzen technischen Umwälzungen erlebt. Die Leute schauen heute anders auf Filme, die Schnitte sind mehr und schneller geworden. Ich wollte auf Schnitt natürlich nicht verzichten, aber mich formal zurücknehmen, um genauer hinzuschauen.“ Weshalb Winkelmann sozusagen für seinen Film die Farb- und Formatmontage erfunden hat. Aus dem „Reserviert“-Schildchen auf dem Tisch faltet er ein Rechteck im 4:3-Format. „Das ist klassisch, ein bild in diesem Format ist authentisch alt. Mit Scope wird es dann moderner, gegenwärtiger.“ Wenn „Junges Licht“ schon „keine Action“ oder klassisch dramatische Handlung habe, dann lohnt es um so mehr, „den feinen, kleinen Verhältnissen Raum zu geben“, findet Winkelmann: „Ein sicherer, klarer Realismus.“
Auch die Sprache: Kein Comedy-Pöttisch, sondern „so wie wir sprechen. Und das kann in Dortmund anders klingen als in Essen oder Bottrop.“ Gefühlt jeder Zweite schleppte in den 1960ern ja eh noch einen Dialekt von auswärts mit.
Greta Sophie Schmidt, die die 15-jährige Nachbarstochter spielt und den zwölfjährigen Julian in ziemliche Verwirrung stürzt, spricht ziemlich dialektfrei, vielleicht an so westfälischen Vokaldehnungen ist ihr die Heimatstadt Bochum anzuhören. „Das war eine Chance, die mir zugeflogen ist“, sagt sie zu ihrer Rolle, „und ich wusste, das ist jetzt nicht so ein Niveau wie RTL.“ Die 60er Jahre kennt sie nur aus Erzählungen und von Fotos, etwa von der Konfirmation ihrer Oma. „Die Welt sah anders aus damals.“ Oma durfte sonntags „immer nur von vier bis sechs“ zum Tanztee. Ihr Opa war auch Bergmann, aber den hat Greta Sophie nicht mehr kennengelernt.
„Wir beide haben viel miteinander gearbeitet“, erzählt Winkelmann: „Was braucht es für einen Satz wie ’Diese Sonntage sind echt langweilig’? Ich kann mich gut erinnern an diese ganz enge Welt, und es gibt gar nichts, womit man sich beschäftigen kann.“ Und Greta? „Nachmittage, an denen man nichts vorhat, die kenne ich auch.“
Überhaupt, die Sätze: Zum großen Teil sind sie eins zu eins aus Ralf Rothmanns Romanvorlage übernommen. Solche literarische Sätze können Schauspieler schon vor Schwierigkeiten stellen. „Die fragen dann: ’Wo ist dieser Dialogsatz her?’“ Doch die Sätze seien ein Geschenk: „Erst als wir abgedreht hatten, im Schnitt habe ich wieder gemerkt, was für wunderbar reduzierte Textzeilen das sind“, erzählt Winkelmann, „wie toll es ist, so einen Dialogautor zu haben.“
Von Anfang an hat er gesehen, „dass ich mit dieser Geschichte etwas ganz Kleines, Banales erzählen kann und dahinter eine ganze Welt von Fragen, Konflikten und Problemen auftauchen lassen.“ Sind die denn im heutigen Ruhrgebiet gelöst? „Ich hab das Gefühl, wir sind auf einem guten Weg“, findet Winkelmann, „den Schritt ins Licht zu machen.“ Strukturwandel, Aufbruch, die Mieten nicht so hoch wie in Köln oder Berlin und „überall so Garagen, wo Leute kreativ sein können.“ In den 60er Jahren habe man nur Arbeiter gewollt, aber es war richtig, damals die ganzen Universitäten im Ruhrgebiet zu gründen.
„Und was ich noch toll finde am Ruhrgebiet: Wir haben schon viele Sachen gemacht und erlebt, die andere noch vor sich haben.“ Hoffentlich nicht: Waffenkammer zweier Weltkriege, Wirtschaftswunder, na gut. „Wir haben uns ja quasi selbst den Boden unter den Füßen weggezogen. Wenn diese Anlagen nicht weiter pumpen, sind wir eine einzige Seenplatte.“ Das Ruhrgebiet als Sinnbild für den Umgang mit dem Globus. Beim Wort „Ewigkeitslasten“ wird Winkelmann von einem beinah grimmigen Lachen durchschüttelt und fasst sich an den Kopf. „Das ist schon ein gutes Biotop, man bekommt das hier toll vorgeführt, diese affenartige Geschwindigkeit, mit der hier eine ganze Region ausgequetscht wurde – für einen Künstler ist das aufregend.“
Übertragen auf seinen Film ist es „die Größe und das unheimlich Kleine des Ruhrgebiets“, was ihn fasziniert. Auch wenn er dafür sehr viel rekonstruieren musste; diesen Balkonausblick gibt’s heute nur noch als, ja eben: Rückprojektion.
Aber das Material ist original, an noch bestehenden Orten aufgenommen. Zum Beispiel auf der Zeche Auguste Victoria in Marl, wo Winkelmann schon für „Super“ und „Jede Menge Kohle“ gedreht hat. „Die Bergleute haben uns geholfen. Das war schon eine sehr besondere Stimmung dort, eine sehr bedrückte Stimmung“; Winkelmann war mit seinem Team im letzten Sommer da, als längst klar war, dass im Dezember auch auf diesem Pütt der Deckel zugemacht werden würde.
Kann er sich denn vorstellen, für einen nächsten Film den Blick auf das Ruhrgebiet von heute zu richten. „Klar kann ich mir das vorstellen, aber erstmal bin ich müde. Das war eine ausgesprochen anstrengende Arbeit, und wenn ich an einem Film arbeite, kann ich nicht gleichzeitig andere Projekte planen.“ Jetzt ist „Junges Licht“ im Kino, eine kleine Geschichte, hinter der eine ganze Welt auftaucht. „Dass man sich das noch mal ankucken kann“, sagt Winkelmann und meint damit wohl das Ruhrgebiet von damals, aber bestimmt – sonst meinen wir das – auch den Film selbst: In „Junges Licht“ gibt es noch viel zu entdecken.
Der Film läuft ab Donnerstag, 12. Mai, im Filmforum, (0203) 28 547–3, www.filmforum.de