Er will die Menschen wach rütteln, aus ihrer Lethargie und Angepasstheit holen — gerade wenn es um das Thema Lohberg geht.
Nicht lange her, da hat Eyup Yildiz der Taz ein langes, bemerkenswertes Interview gegeben. Eine der Kernaussagen: Das erdogantreue, werte- und glaubenskonservative, abgeschottete Lohberg hat überhaupt erst den Nährboden gebildet, auf dem der Wahnsinn der Lohberger Salafisten-Brigade wachsen und gedeihen konnte. Mal ganz davon ab, dass viele nicht richtig hingeschaut und — vor allen Dingen — nicht hinterfragt haben, was die jungen Männer in den Gewändern und mit den langen Bärten da treiben. Yildiz: "Viele haben gesagt, dass es doch gut sei, dass die jungen Männer zum Glauben gefunden haben. Hauptsache, sie seien von der Straße weg und würden nicht kriminell." Nicht gesehen wurde laut Yildiz aber die Abkapselung von der Gesellschaft, die fehlende Nestwärme, die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, der fehlende kritische Geist, das fehlende Zugehörigkeitsgefühl, das die jungen Männer zunehmend frustriert habe. "Und dann kamen Scharlatane, die das ausgenutzt haben." Eyüp Yildiz weiß genau, dass Lohberg keine Salafistenhochburg ist. Er weiß aber auch, dass das Problem noch nicht erledigt ist — auch wenn viele Lohberger und Dinslakener gerne hätten, dass Leute wie Yildiz den Mund und Lohberg aus der Diskussion halten. "Es gibt noch einige von denen in Lohberg. Der einzige Vorteil ist, dass die Tatsache, dass viele von den deutschen IS-Leuten aus Lohberg gekommen sind, unseren Stadtteil ziemlich mitgenommen hat und jetzt genauer hingeschaut und weniger unter den Teppich gekehrt wird."
Aber es wird auch noch längst nicht alles angesprochen, was laut Yildiz auf den Tisch muss. Das Taz-Interview hat für Aufruhr gesorgt. Eyüp Yildiz wusste das und hat es natürlich auch provoziert. Er denkt modern und will verkrustete Strukturen aufbrechen. Und deswegen stellt er sich der Kritik und sucht die Diskussion. "Ich bin nach der Veröffentlichung des Interviews gleich in die Moschee gegangen und hab auf der Straße mit den Menschen diskutiert", erzählt er. Die Reaktionen seien ambivalent gewesen. Es gab Schulterklopfer, es gab aber auch viel Unverständnis. Er solle die Politik aus der Diskussion lassen. Und vor allen Dingen den Islam. "Aber wieso sollte ich das tun?", fragt Yildiz rhetorisch. Und schiebt die Antwort gleich hinterher. "Ich bin Lohberger, ich bin Muslim und ich bin Politiker. Ich darf das also", sagt er.
Yildiz will vor allen Dingen eines: Konzepte umschmeißen, die in seinen Augen nichts bringen. Es geht gar nicht nur um den unreflektierten Terminus der Salafistenhochburg Lohberg. Es geht vor allen Dingen um ganz handfeste Dinge, die seines Erachtens in Lohberg falsch laufen. Nicht nur, dass ihm Lohberg und seine Menschen am Herzen liegen. Yildiz, überzeugter Sozialdemokrat und hauptberuflich Lehrer beim Internationalen Bund, sieht Lohberg auch exemplarisch für eine verfehlte bundesweite Integrationspolitik. "Es gilt, die Abschottung aufzubrechen. Es gilt, die Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit, die hohen Mieten und gerade die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in Lohberg konkret anzugehen. Wir brauchen Jobs. Wir haben soviel Potenzial bei den Jugendlichen, das ungenutzt verkümmert", beklagt Yildiz.
Unterschriftenlisten, ein paar Kundgebungen, Workshops und Islam-Projekte, die in Lohberg nun wie Pilze aus dem Boden schössen, bringen da nichts, findet er. Es bringe nichts, die Nebenwirkungen zu bekämpfen und die eigentlichen Probleme nicht anzugehen. "Wir schaffen nur Pufferzonen zwischen Migranten und der Mehrheitsgesellschaft, in denen sich die Beauftragten der Integration einnisten. Wir reden und diskutieren viel und kratzen dabei nur leicht an der Oberfläche. Um den Islam kümmern sich die Moscheen. Da brauchen wir keine Workshops, aber Deutschkurse für Imame. Und das Geld, mit dem Projekte wie das Forum Lohberg über Jahre finanziert wurden, kann doch viel besser ganz konkret in Bildung und Ausbildungsplätze für die Kids investiert werden", wird Yildiz konkret. Ein zentraler Punkt sei das unreflektierte, unkritische Verhalten vieler Jugendliche, nicht nur in Lohberg. "Vieles wird unkommentiert und undiskutiert gefressen. Da müssen wir ansetzen. Wir müssen aufklären, wir müssen mit den Jugendlichen über ihre Probleme und Vorstellungen diskutieren und Perspektiven schaffen. Und da ist dann auch der Staat gefragt."
Eyüp Yildiz glaubt an den Schmelztiegel als Sinnbild der deutschen Gesellschaft. Tendenzen kultureller Abkapselung wie sie sich in Stadtteilen wie Lohberg und Marxloh darstellen, müssten entgegengewirkt werden. Durchmischung sei das Schlüsselwort, nicht Abschottung. Integration müsse schon im Kindergarten beginnen. Damit bereits kleine Kinder merken, dass es das Normalste auf der Welt ist, dass eine Gruppe aus vielen verschiedenen Nationen besteht. Yildiz setzt sich auch schon seit fünf Jahren immer vehementer für eine Schließung der Grundschule in Lohberg ein, auf der ein abgekapselter, türkischer Mikrokosmos entstanden sei. "Wir reden immer von Chancengleichheit und Bildung. Diese Chancengleichheit haben die Lohberger Grundschüler aber nicht." Und deswegen müssten die Lohberger Kids aufs gesamte Stadtgebiet verteilt werden. "Wenn die Eltern das wollen. Ich weiß nicht, ob es zu einer Schließung kommt. Ich glaube, dass viele Eltern das wollen. Wenn sie sich jedoch anders entscheiden, müssen wir das auch akzeptieren, dann ist das auch okay."
So oder so, die Diskussion entwickelt sich. Bewusstsein ist geweckt, Fassaden bröckeln. Und damit ist schon etwas geschafft. Zurücklehnen wird sich Eyüp Yildiz deswegen aber noch lange nicht. Das passt irgendwie nicht zu ihm. Und dafür gibt es auch einfach noch viel zu viel zu tun...