Es ist selten, dass man einen Maler beim Malen fotografieren kann. Beim Vorbesuch knapp anderthalb Wochen vor der Eröffnung legt Johann Hinger noch letzte Hand an ein Bild an. "Das Grün war noch ein bisschen zu hell." Und das Grün ist entscheidend, möchte er mit seinen Bildern doch auch zeigen, "wie grün das Ruhrgebiet ist." Deshalb sagt er von seinen Bildern auch: "Eigentlich müsste ich die in Wien oder in München zeigen." Wenn er in Duisburg am Rhein entlangfährt, hat er ein Klappfahrrad im Kofferraum, mit dem er dann an die Stellen fährt, die ihn malerisch interessieren — man könnte auch sagen: die ihm malerisch erscheinen.
Wobei er die Landschaft nicht einfach abmalt. Er fotografiert und kann auch fotografisch genau zeichnen, aber zuhause im Atelier "nehme ich mir die Freiheit, auch was wegzulassen." Oder er erfindet einen Poller oder eine Daube hinzu, damit das Gleichgewicht stimmt. Ist man bei abstrakten Bildern immer dazu geneigt, etwas "Wirkliches" darin zu erkennen, kann man vor Johann Hingers Duisburg-Bildern quasi die umgekehrte Erfahrung machen: wie sich ein bekannter Anblick in etwas abstraktes, in eine Stimmung verwandelt. "Es ist schon klar, dass die Künstler alle in die Provence oder in die Toskana gegangen sind", sagt Hinger, "das Licht ist entscheidend." Hinger verbringt die Sommer immer in seinem Heimatland Österreich im Salzkammergut. "Aber wenn's da regnet, ist es hässlicher als im Ruhrgebiet."
Das Licht, wie es sich im Wolkenhimmel und im Wasser des Rheins spiegelt, das vor allem ist auf den Duisburg-Bildern festgehalten. Details fehlen trotzdem nicht: Hafenkräne, Schiffe und, ganz klein, das "Geleucht" von Otto Piene auf der Halde Rheinpreußen.
"Ich arbeite eigentlich immer antizyklisch", erklärt Hinger, der Anfang der 80er sozialkritische Bilder gemalt hat, "bis sich das erschöpft hat", dann jahrelang nur abstrakte Landschaften, die an die Berge der Alpen erinnern, und dann zahllose bekannte und weniger bekannte Gesichter der Metropole Ruhr. Auf der Akademie in Wien habe er "a bisserl was", in Düsseldorf "gar nichts" gelernt. "Das meiste habe ich mir selber beigebracht. Man muss einfach arbeiten, malen, jeden Tag." Hinger wird bald 70, seit 65 Jahren malt er schon, "seit ich als Kind im Bett Pferde gemalt habe". Ein rotes Pferd hat Hinger für Bottrop geschaffen, eine acht Meter hohe Skulptur. Doch auf den Duisburg-Bildern: keine Tiere, und erst recht: keine Menschen. "Diese Einsamkeit, das entspricht einfach meiner Seele." In der puristisch gehängten Ausstellung in der kleinen Galerie des Museums ist diese Einsamkeit deutlich zu spüren — eine Einsamkeit, die glücklich machen und sich eins mit der Natur fühlen lassen kann, auch wenn es nur eine gemalte Natur ist.
Johann Hinger, "Fokus Duisburg", Eröffnung am Sonntag, 6. November, um 11 Uhr, bis 23. April 2017 dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr im Museum der deutschen Binnenschifffahrt, Apostelstraße 84 in Ruhrort.