Zur Nothilfestation in Hüls Wie ich einen kranken Igel auflas
Krefeld · Ein verhungernder Igel, tagsüber mitten auf dem Asphalt, umschwärmt von Fliegen, die ihre Eier in seinem Fell ablegen. Wie gut, dass es in Krefeld eine Igelnotfallstation gibt.
Die Begegnung war ein Zufall. Wie der Fund eines kranken Wildtieres stets ein Zufall ist. Ich fuhr mit dem Fahrrad den Brahmsweg in Kempen entlang, links und rechts von der Fahrbahn Büsche und Sträucher. Mitten auf dem Asphalt lag ein Igel, regungslos, umschwärmt von einer Schar dicker Fliegen. Als könne er sich ihrer nicht mehr erwehren und hätte kapituliert.
Ein Kind kommt vorbei und ruft: „Ein Igelchen“. Der Vater steigt vom Rad und trägt das Tier ins Gebüsch. Ich bleibe noch und warte. Nach einer Weile rollt sich der Igel aus und bewegt sich. Er torkelt merkwürdig, scheint orientierungslos, krabbelt zurück auf den Asphalt.
Auf meinem Handy suche ich im Internet nach einer Igel-Station. Es gibt eine in Hüls. Sie heißt „Casa dei Ricco-Haus“. Ab 18.30 Uhr hat sie geöffnet. Jetzt ist es Mittag.
An meinem Fahrrad sind Satteltaschen. Ich nehme meinen Einkaufsbeutel aus Stoff und lasse den Igel mit einem Stubser darauf kriechen. Seine Stacheln stechen mir in den Finger. Aber es gelingt. Mit dem Beutel als Unterlage stecke ich das Tier in die Satteltasche und fahre nach Hause.
Dort kommt der stachelige Gast gleich in einen größeren Pappkarton. Vor allem ist er erstmal von den Fliegen befreit. Er bewegt sich auch recht munter. Das Wasser, das ich ihm in einer Schale hinstelle, scheint er zu trinken.
Im Internet schaue ich nach, was man Igeln zu fressen geben kann. Katzenfutter, heißt es dort, und auch hartgekochte Eier. Katzenfutter habe ich nicht, also koche ich als Erstversorgung ein Ei. Ob er es frisst, ist schwer zu sagen. Immerhin liegen die Eistücke später zerkleinert im ganzen Karton herum. Der Meister selber scheint zu schlafen. Das Verdauungsschläfchen nach dem Mahl? Wohl kaum. Ich lasse ihn in Frieden. Die bisherige Aktion war für ihn sicherlich stressig genug.
Am Abend geht es mit dem Auto nach Hüls. Mein Gast schläft im Karton. In der Igelauffangstation an der Kreuzstraße 9-11 empfangen sehr freundliche Damen. Sie sind eifrig damit beschäftigt, diverse Igel in Käfigen oder Wäschekörben zu versorgen.
Brigitte Thevessen, Leiterin der Station, nimmt den Igel gekonnt mit einer Hand aus dem Karton und untersucht ihn. „Fliegen haben ihre Eier in seinem Fell abgelegt“, verweist sie auf die gelben Kügelchen an seinem Kopf, „die Larven fressen ihn dann bei lebendigem Leib.“ Die Fliegen, so erklärt sie, riechen es, wenn ein Tier verhungert und nutzen es dann zur Eiablage.
Der Fundigel ist dabei, zu verhungern. Er wiegt nur noch 180 Gramm. „Er müsste 250 bis 300 Gramm wiegen“, erläutert Frau Thevessen. Mit einer kleinen Bürste entfernt sie sorgfältig all die gelben Kügelchen aus seinem Fell. Der Igel lässt alles geduldig über sich ergehen. Wäre er kräftig, würde er sich wehren. Aber er hat keine Kräfte mehr.
Nach der Säuberung kommt er in einen Aufwärmapparat. Der sieht aus wie eine Mikrowelle (ist aber natürlich keine). Denn er ist stark unterkühlt. Wenn das Tier keine Körpertemperatur von 36 Grad hat, frisst es auch nicht. Trotz Hunger. Bevor man dem Igel Futter geben kann, muss er aufgewärmt werden, erklärt Frau Thevessen.
Nun übernehmen die Damen, alle Ehrenamtlerinnen, die weitere Versorgung des Tieres. Ich lasse meine Daten da, denn wenn der Stachelfreund wieder fit ist, soll ich ihn zurücknehmen. Schließlich habe ich einen Garten mit viel Gestrüpp. Dann alles Gute, kleiner Pflegling.
Übrigens: auf der Homepage von „Casa dei Riccio - Haus der Igel e.V.“ findet man viele wertvolle Informationen zu Igeln, was im Notfall zu tun ist und zum Verein. Adresse:
www.haus-der-igel.de