Mitte der 80er Jahre entwickelte Armin Krenz mit dem situationsorientierten Ansatz ein frühpädagogisches Handlungskonzept, welches bis heute die Arbeit in vielen Kindertagesstätten prägt. Der 72-Jährige ist nach wie vor als Supervisor, Autor, Fachbuchgutachter und Wissenschaftsdozent tätig. Viele hunderte Einrichtungen in der ganzen Bundesrepublik hat er bisher begleitet, angeleitet und verbessert. Lehraufträge führten ihn bis nach Moskau, Oxford und Bukarest, Vorträge bis nach China, jetzt lebt er in Moers. Warum er sich dort nicht zur Ruhe setzt, sondern sich immer noch für eine Verbesserung in der frühpädagogischen Arbeit in den Kitas einsetzt: „Weil’s um nicht weniger als das Überleben der Gesellschaft geht!“
Die ersten sechs Lebensjahre sind entscheidend für die Persönlichkeitsbildung. In den ersten drei Jahren geht’s ums „Ich bin“: Ich bin wichtig, geliebt, wertvoll, angenommen. In den Jahren 4 bis 6 baut das Kind darauf seine Selbstüberzeugung „Ich kann ganz vieles“ auf. Sind diese Grundsteine gelegt worden, folgt das „Ich habe“: Ich habe die Kraft etwas leisten zu können, wohlüberlegt „Ja“ oder „nein“ zu sagen, mich abzugrenzen, mich weiterzuentwickeln. „Kinder müssen dies alles erfahren dürfen, denn damit geht die gesamte Persönlichkeitsentwicklung los“, betont Armin Krenz.
Neben den Eltern stehen hier die Kindergärten, Kitas und Krippen in der Verantwortung, denn dort verbringen sehr viele Kinder einen Großteil ihrer Lebenszeit. Es brauche dafür nicht nur strukturelle Veränderungen wie eine angepasste Gruppengröße oder eine bessere Ausstattung der Kitas, sondern auch ein Umdenken in der Ausbildung und im Bewusstsein der pädagogischen Fachkräfte. Die Wissenschaft propagiert längst „Bildung durch Bindung“. Armin Krenz erklärt: „Kinder haben einen Bindungswunsch. Wenn ein Erwachsener also ein Beziehungsangebot macht, indem er zeigt: ‚Ich kümmere mich, ich greife Themen von euch auf, die für euren Alltag bedeutsam sind‘, dann kann bei Kindern ein Selbstbildungsprozess angestoßen werden: ‚Ich will die Welt verstehen. Ich will mich kennenlernen.‘“ Leider würde in vielen Einrichtungen immer noch ein autoritärer Stil gepflegt werden, bei dem Bildung nicht als Interaktionsprozess verstanden wird, sondern ein „Ich muss“ das kindliche „Ich brauche“ ausbremst. Wo die vermeintlichen Schwächen im Fokus liegen, statt die Stärken zu stärken, so dass die Schwächen geschwächt werden. Krenz fordert daher eine Zuwendung zur Partizipationspädagogik, in der Kinder jederzeit respektvoll und wertschätzend mitgenommen werden. Entscheidend dafür: „Kinder leben in der Gegenwart. Dort müssen sie abgeholt werden. Wir dürfen die Zukunft nicht zur Gegenwart machen.“
Doch wie macht man das? Armin Krenz legt nicht nur den Finger in die Wunde, sondern sagt auch, wie es besser gehen kann: Spielen! „Es gibt 16 Spielformen, von Bau- über Musik- bis hin zu Rollenspiele, werden diese in den ersten sechs Lebensjahren berücksichtigt, dann erreichen Kinder über die Spielfähigkeit die Schulfähigkeit – ohne ein einziges Förderprogramm“. Diese lehnt der Wissenschaftsdozent sogar „als nicht nachhaltig“ entschieden ab. Ebenso wie den Begriff „Vorschulpädagogik“, den es in der Wissenschaft nicht gebe: „Das wäre ja, als wenn wir von Leuten in Altenheimen als Vortote sprechen“, gibt er zu bedenken.
Was noch? Was können Einrichtungen noch konkret machen? „Raus in die Natur gehen. Kinder entwickeln sich besser, sind entspannter, ruhiger, mit höherer Sozialkompetenz, wenn sie viel draußen sind“, fasst Krenz die Erkenntnisse von Dr. Herbert Renz-Polster zusammen, der hier umfangreiche Untersuchungen geleitet hat. Und: „Schafft die Stühle ab“, zitiert Krenz Prof. Renate Zimmer aus der Bewegungsforschung, damit aus den Sitzkindergärten endlich Bewegungskindergärten werden, denn Bewegung sei die wichtigste Form um Stress abzubauen. Für die Sprachentwicklung sieht er Märchen und ihre kreative Aufarbeitung als wichtigste Form. Hierzu hat der Pädagoge selbst ausgiebig geforscht und kann mittlerweile für fast jedes Kind das passende Märchen empfehlen, um es in seiner Entwicklung zu stärken: „Kinder stellen bei Märchen immer eine Beziehung zu ihrem Leben her, gleichzeitig sind die Geschichten Spiegelbild unserer Welt, weil sie alle Lebenssituationen umfassen. Sie ermöglichen ein spürendes Erleben von sich selbst und der Welt.“
Auch an den Fachschulen müsse sich einiges ändern, findet Krenz. Seiner Meinung nach wird zu wenig Wert auf die Persönlichkeitsbildung des pädagogischen Fachpersonals gelegt. „In so einem Beruf ist die Haltung ein wesentliches Element: Haltung zu sich selbst, zu den Kindern und zu den Eltern. Es muss klar sein: Der Beruf, den ich wähle, muss Berufung sein. Alles, was ich tue, hat gesellschaftliche Auswirkungen. Das ist nicht nur Kinderbespaßung.“ Sich selbst, aber auch den Träger zu hinterfragen und Forderungen zu stellen - Krenz wünscht sich mehr Mut. Auch müsste mehr an der Elternbildung gearbeitet werden, denn hier gebe es deutlichen Nachholbedarf.
Als Supervisor ist Armin Krenz häufig entsetzt, welche Zustände er in den Kindergärten vorfindet. Nach wie vor besucht er im Jahr zwischen 30 bis 40 Einrichtungen, früher waren es mal wesentlich mehr. Machtmissbrauch, Gewalt, Demütigungen, Desinteresse habe er immer wieder erlebt, oft reagieren die Träger hilflos, denn „man sei ja froh, überhaupt Personal zu haben“. Auch in den Kita-Teams sei die Stimmung häufig schlecht. „Und ich muss es leider sagen: Dort wo vermehrt Frauen sind, herrscht oft Zickenkrieg. Da merkt man schon beim Reinkommen, dass es im Team nicht stimmt“, sagt Krenz. Daher appelliert er immer wieder, auch im Kollegium eine funktionierende Teamarbeit zu pflegen; er hat hierfür Fachratgeber und Karteikartensysteme entwickelt.
Und was können die Eltern im Bezug auf die Einrichtungen tun? Zunächst sollten sie sich die Konzeption vorlegen lassen und Beispiele aus dem Alltag ihres Kindes ansprechen, um zu erfahren, wie diese Situationen gehändelt werden würden. „Im weiteren Verlauf dürfen Sie Dinge nicht einfach als gegeben hinnehmen“, empfiehlt Krenz. Das heißt: Sprechen Sie an, was Ihnen auffällt. Erwarten Sie fachlich-fundierte Aussagen. Und loben Sie, wenn Ihnen etwas gefällt. Denn auch das, kommt viel zu kurz. Außerdem dürfen Eltern nicht vergessen, dass nicht die ganze Verantwortung für die frühkindliche Entwicklung bei der Kita liegt: „Wir wissen, das Vorlesen so wichtig für die sprachliche Entwicklung und die Beziehungspflege ist, trotzdem lesen weniger als 1/3 der Eltern ihren Kindern regelmäßig vor. Man kann nicht verlangen, dass das die Kita auffängt“, nennt Krenz nur ein Beispiel und warnt: „Viele denken tatsächlich, dass das Anbieten audio-visueller Medien besser wäre, aber wer sein Kind vors Tablet setzt, bei dem geht der ganz wichtige Kommunikationsbezug verloren - mit nachhaltig entwicklungshinderlichen Folgen.“ Und da wären wir wieder bei Bildung durch Bindung, die lebt halt nur durch aktive Interaktion.
Armin Krenz ist ein beeindruckender Mensch, dem „manchmal der Kopf schwirrt, weil er so viel weiß“. Der sich daher verantwortlich fühlt, die Qualität in den Kindertagesstätten zu verbessern - nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. Dem als Witwer die wissenschaftliche und praktische Arbeit eine Lebensstruktur gibt, weil er spürt, dass er etwas in Bewegung setzen kann. Der sich freut, wenn er helfen kann, indem er 3 bis 5 Mailanfragen pro Tag fachlich beantwortet und begeistertes Feedback erhält. Der immer noch neugierig, lernwillig und mit offenem Herzen durch die Welt geht - so wie es Kinder tun sollten.