Bei der Weinlese live dabei
Mesenich/Mönchengladbach · „Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“, soll einst Johann Wolfgang Goethe gesagt haben. Der deutsche Dichter schätzte den Rebensaft vor allem wegen seiner „produktivmachenden Kräfte besonderer Art”.
Doch was braucht es, damit aus den Trauben ein guter Wein wird? Der Extra-Tipp hat sich einen Tag lang auf einem Weingut umgesehen und bei der Lese geholfen.
Der Johannishof in Langsur-Mesenich, gute 15 Kilometer von Trier entfernt, ist Ziel meiner Reise. Das Weingut mit angeschlossenem Restaurant und Gästehaus befindet sich in dritter Generation in Familienbesitz und wird heute von Birgit Ries geführt. Ihre beiden Kinder haben ebenfalls den Beruf des Winzers erlernt. Tochter Julia ist nach der Elternzeit wieder zurück in den heimischen Betrieb gekehrt, Sohn Christian arbeitet auf einem anderen Weingut, hilft in seiner Freizeit aber häufig auf dem Johannishof aus.
Kurz vor 8 Uhr herrscht in dem 400-Seelen-Örtchen bereits rege Betriebsamkeit. Die Erntehelfer treffen am Weingut ein. Noch schnell ein paar Schlucke warmer Kaffee, dann geht es auch schon los mit dem Auto den Berg hinauf in die Weinstöcke. Zwei Traktoren mit Anhänger begleiten die Gruppe.
Viele der „Beerenpflücker“ sind Wiederholungstäter, kommen aus dem Ort und helfen Jahr für Jahr bei der Weinlese. An diesem Vormittag werden die Trauben für den Grauburgunder geerntet. Die Chefin persönlich weist mich ein, „bewaffnet“ mit Handschuhen, Eimer und Schere warte ich auf Instruktionen. „Wir verwenden nur 100 Prozent gesundes Lesgut“, erklärt mir Birgit. Das heißt für mich, dass ich jede Traube kontrollieren und faule Beeren mit der Schere herauslösen muss. Erst dann dürfen die Trauben in den Eimer wandern.
Die ersten Schnitte mache ich noch sehr zögerlich. Sind die Trauben reif genug, um geerntet zu werden oder täte ihnen noch ein paar Tage Sonne gut? „Einfach mal eine Beere kosten“, rät die Chefin lachend. Von Rebstock zu Rebstock arbeite ich mich vor, die Beeren für den Grauburgunder sind wie gemalt, saftig und zuckersüß.
Sobald der Eimer voll ist, greifen die Männer der Truppe zu und laden die Trauben im Hänger des kleineren Fahrzeugs ab. Der Traktor ist schmal genug, um durch die einzelnen Rebstockreihen zu fahren. Ist der kleine Anhänger voll, wird umgeladen auf den großen Traubenwagen der am Rand stehen bleiben muss. So geht es in einem fort: Eimer – Traktor – Traubenwagen. „Alles 100 Prozent Handarbeit“, betont Christian Ries.
Nach gut einer halben Stunde habe ich den Dreh einigermaßen raus, mein Eimer füllt sich deutlich schneller. Zwischendurch habe ich sogar Zeit, die wunderschöne Landschaft zu genießen. „Im Weinberg geht mir das Herz auf, der Herbst ist für mich die schönste Jahreszeit“, hatte Winzerin Birgit am Morgen geschwärmt – ich kann sie gut verstehen. Für gestresste Stadtmenschen ist die Traubenlese ein bisschen wie Meditation, zumindest wenn das Wetter mitspielt und man keine Angst vor Krabbeltierchen hat. Ohrenkneifer mögen scheinbar auch gerne Trauben ...
Mittags geht es zurück zum Johannishof. Seniorchefin Maria hat für die ganze Mannschaft gekocht. Eine Stunde Pause, um etwas leckeres zu essen, einen Kaffee zu trinken und ein bisschen die Seele baumeln zu lassen. Um 13 Uhr ist dann wieder Aufbruch: Fassweinlese am Grewerberg. Die Trauben dort werden später nicht im Johannishof weiterverarbeitet, sondern gehen an eine Winzergenossenschaft. „Alles, was wir zu viel haben, geben wir ab“, werde ich aufgeklärt.
Die Lese am Nachmittag ist bedeutend anstrengender. Die Sonne brennt und die Trauben hängen tief. Das viele Bücken geht auf den Rücken, Hände und Arme kleben vom Traubensaft, der Schweiß rinnt. Gegen 15 Uhr darf ich Feierabend machen, alle anderen Helfer müssen noch zwei Stunden ran. Dank des guten Wetters sind die Trauben in diesem Jahr besonders üppig gewachsen. „Die alten Rebstöcke können bis zu 15 Meter tief wurzeln und dort Feuchtigkeit aufnehmen“, erzählt Birgit. Somit hat den Pflanzen die extreme Hitze im Sommer nicht allzuviel ausgemacht.
Die Weinanbauflächen sind gesetzlich kontingentiert, ebenso der Ertrag pro Hektar, der bei 12 500 Litern liegen darf. „Hier in unserer Region können wir uns im Prinzip nur vergrößern, wenn ein anderer Winzer seinen Betrieb aufgibt“, sagt die Chefin. Guter Wein – ein Geduldsspiel. Ein Rebstock braucht drei Jahre, bis er erste Erträge abwirft. Seine Lebensdauer kann bis zu 100 Jahren und mehr betragen. Nach 25 bis 30 Jahren geht der Ertrag zurück, aber die Qualität der Trauben steigt.
Am Abend erfahre ich etwas über den Johannishof. Die Großeltern von Birgit Ries, Matthias und Gertrud „Trautchen“ Gierten, haben 1935 mit dem Weinanbau und der Landwirtschaft begonnen. „Alles noch in sehr kleinem Rahmen“, erzählt die heutige Chefin. In den 60er Jahren übernahmen dann die Eltern von Birgit Ries das Kommando: Mutter Maria und Vater Hans, der von einem großen Weinbaubetrieb an der Mittelmosel kam und viel Erfahrung mitbrachte. Sukzessive wurde der Weinanbau professionalisiert und die Landwirtschaft eingestellt. Heute hat das Weingut 20 Gästezimmer, einen Restaurantbereich mit 100 Plätzen und baut auf sechs Hektar Wein an: Elbling, Grauburgunder, Weißburgunder, Spätburgunder und Rivaner. Apropos Elbling: „Eine der ältesten deutschen Rebsorten, den haben die Römer mitgebracht, als sie Trier gründeten“, gibt Winzerin Birgit eine kleine Geschichtsexkursion. Der Elbling ist heute eine Rarität unter den deutschen Weinen, erlebt aber gerade eine Renaissance. „Vor allem der Elbling-Sekt genießt einen sehr guten Ruf“, sagt die Fachfrau.
Tochter Julia, staatlich geprüfte Technikerin für Weinbau und Kellerwirtschaft, unterbricht unser Gespräch und nimmt mich mit in den Keller. Hier werden gerade die Trauben verarbeitet, aus denen einmal ein Grauburgunder werden soll; schätzungsweise 1 500 Liter. Kurz machen wir noch einen Abstecher zur Traubenpresse. Vor hier aus läuft der Saft - verwendet wird übrigens nur reiner Most - per Schlauch in einen Edelstahltank im Keller. Über Nacht muss frische Traubensaft ruhen, ehe ihm Bentonit (Tonerde) und Hefe beigemischt werden. Die Tonerde entzieht dem Traubensaft Eiweiß, die Hefe setzt den Gärprozess in Gang. Dabei wird Zucker in Alkohol umgewandelt. So entsteht der Rohwein, der anschließend noch auf der Feinhefe liegen gelassen wird, wie es der Winzer nennt. Zum Schluss erfolgt dann noch die Feinabstimmung.
Abschließend gibt es eine kleine Kostprobe des noch unvergorenen Traubensaftes: „Das wird ein super Grauburgunder“, schwärmt Julia Ries.