Die Nachbarn wehren sich.
Als Hans Hoffmann am 22. Februar den Brief mit dem Betreff "Unzulässige Errichtung einer Terrassenüberdachung" in den Händen hält, fällt er aus allen Wolken. Vor fast 20 Jahren haben er und seine fünf Nachbarn ihre Terrassen überdachen lassen. Nie habe es ein Problem gegeben. Und nun das. Der Stadt Kamp-Lintfort sei bei der Auswertung von Luftbildern aufgefallen, dass an mehreren Stellen im Stadtgebiet gegen die geltende Bauordnung verstoßen worden sei, u.a. auf der Walterstraße. Die im Bebauungsplan festgeschriebene Baugrenze mit 14 Metern wäre mit der an das Haus anschließenden Überdachung überschritten worden. Die Terrassendächer müssen also weg.
Heinrich Becker war der Erste, der 1999 seine Terrasse überdachen ließ. Bei der zuständigen Behörde sei ihm damals gesagt worden, dass man nichts dagegen habe, wenn die Nachbarn einverstanden wären. Eine Baugenehmigung hätte er allerdings nicht bekommen. "Damals lief das halt so", meint er. Auch seine Nachbarn hätten Ähnliches zu hören bekommen: "Hauptsache ihr baut keinen Wintergarten" - an diese Worte erinnert sich Hans Hoffmann. Schriftlich hat niemand was. Und knapp 20 Jahre sei auch alles in Ordnung gewesen und es habe sich ein schönes Miteinander dank der Terrassen entwickelt. "Hier wird Nachbarschaft gelebt. Man trifft sich, sitzt zusammen", darauf möchte Horst König auf keinen Fall verzichten. Und Marcel Fieberg fügt hinzu: "Die Nachbarn, die nicht mehr gut zu Fuß sind, haben so die Chance, an der Nachbarschaft teilzunehmen. Für sie tut es mir am meisten leid."
Außerdem wäre auch der finanzielle Schaden erheblich. 4.500 DM habe Horst König alleine die Überdachung gekostet, "von der Einrichtung ganz zu schweigen." Spezielle Böden, passendes Mobiliar - wenn die Dächer abgerissen werden, müssten die gesamten Terrassen erneuert werden; "schon eine neue Markise kostet um die 3.000 Euro". Auch Heinrich Becker hat im Laufe der Jahre viel Geld in "sein zweites Wohnzimmer" gesteckt und ärgert sich: "Warum hat man uns einfach machen lassen? Warum hat das vorher niemand gemerkt? Luftbildaufnahmen gibt's doch nicht erst seit gestern." Diesen Vorwurf weist Dezernent Martin Notthoff entschieden zurück: "Es gab die technischen Möglichkeiten nicht. Wir konnten und können ja nicht einfach in alle Gärten spazieren und schauen, was hinter den Häusern passiert." Dass die Stadt eine Mitschuld trage, weil sie die Terrassendächer nun knapp 20 Jahre dulden würde, sei ebenfalls falsch. "Dulden kann ich nur, was ich weiß", entgegnet Martin Notthoff. Und davon könne bei den Terrassendächern von der Walterstraße keine Rede sein. Kein Mitarbeiter hätte das Bauvorhaben, wie von den Nachbarn beschrieben, durchgewunken. "Damals wurde Mist gebaut, nun ist man verärgert, dass man erwischt wurde", formuliert es der Dezernent.
Bei der Anhörung vor einigen Wochen wurde den Anwohnern von der Walterstraße eine Frist bis Ende November eingeräumt. "Die Doppelstegplatten müssen runter, das Holz kann stehen bleiben", schüttelt Horst König den Kopf, "wer denkt sich denn so was aus?!" Hinnehmen möchte das niemand, daher werden die Nachbarn nun einen erfahrenen Anwalt für Baurecht hinzuziehen. Außerdem wollen sie die Öffentlichkeit weiterhin informieren und vielleicht so andere Betroffene finden - oder auch Leute, bei denen Ausnahmeregelungen gegriffen haben.
"Eigentlich wollen wir nur eine für beide Parteien vernünftige Lösung", wünscht sich Marcel Fieberg. "Ein rechtswidriger Zustand lässt keine Einigung zu", heißt es dazu von städtischer Seite. "Stellen Sie sich vor, wir winken das durch. Dann beschweren sich die, die sich immer an alle Vorschriften gehalten haben, und die, die bereits zurückbauen mussten. Im Rahmen des Gleichberechtigungsgrundsatzes ist eine Ausnahmeregelung nicht möglich." Nachträgliche Genehmigungen könnten allerdings durchaus ausgestellt werden - vorausgesetzt es wurde sich an die geltende Bauordnung gehalten.
Die Stadt sieht das Thema damit ausreichend behandelt, die Nachbarn sehen das anders. Gerne würden sie ihre Situation dem Bürgermeister in einem persönlichen Gespräch darstellen. "Wenn das alles nichts bringt, werden wir aber auch vor Gericht ziehen", sind sich alle einig. Aufgeben käme nicht in Frage.