Neukirchen-Vluyn Politik im Friseurstuhl und für alle

Neukirchen-Vluyn · Taibe Qorri hat in ihrem Friseursalon einen Raum für Demokratie geschaffen. Mit ihrem Format „Politik im Friseurstuhl“ lädt sie im Vorfeld der Bundestagswahlen zum Meinungsaustausch ein. Sie will zeigen, jede und jeder kann Politik machen.

Die Kampagne „Raum für Demokratie“ endet mit der Bundestagswahl. Politik (nicht nur) im Friseurstuhl wird Taibe weiterhin machen.

Foto: cb

Schon nach fünf Minuten im Salon ist mir klar: Das hier wird kein gewöhnliches Interview. Das wird mehr. Und ich mag es direkt. Wir sind sofort mitten im Gespräch, ich brauche keine Fragen stellen und bekomme viele Antworten.

Taibe und ich kennen uns bereits. Wir haben in der Jugend zusammen Fußball gespielt, uns dann aus den Augen verloren und auf Social Media wiedergefunden. Dort verfolge ich seit ca. zehn Jahren das (politische) Engagement meiner ehemaligen Mitspielerin. Kürzlich hat das deutlich Fahrt aufgenommen. „Ich werde jetzt Politik-Influencerin“, grinst sie mich an. Ihre Motivation: den Leuten einen anderen Weg aufzeigen. Zeigen, dass jede und jeder Politik machen kann und wie der Weg als Quereinsteigerin funktioniert. Dass eine Politik, die sagt „Wir müssen endlich zuhören!“, sich fragen lassen muss: „Was habt ihr eigentlich die ganze Zeit gemacht?!“ Die fragt: „Warum vertraut ihr uns nicht mehr?“, die Antwort bekommt: „Weil ihr euch eurer Verantwortung nicht bewusst seid.“ Es sprudelt einfach aus Taibe heraus und ich glaube ihr sofort, als sie sagt, sie könne locker zehn Stunden darüber reden.

Die 40-Jährige kommt aus einer politisch interessierten Familie. Als gebürtige Kosovo-Albanerin prägen die Ereignisse des Jugoslawienkrieges ihre Kindheit, auch wenn sie da bereits in Deutschland lebt. Ihre Eltern führen sie früh an aktivistische Unternehmungen heran. Sie sammeln Medikamente in Apotheken, die Taibe und ihre Geschwister in einer Gartenlaube für den Transport ins Kriegsgebiet sortieren. Sie fährt mit ihrem Vater zu Demonstrationen nach Bonn. „Democracy. Demokratie. Die Rufe sind mir im Kopf und im Ohr geblieben“, erzählt sie. Dass sie selbst in einer Demokratie leben darf, erkennt sie als großes Privileg. Aber diese Demokratie dürfe nicht aus Selbstverständlichkeit im Stillstand verharren. Daher will Taibe Bewegung in die Sache bringen.

Nach dem Friseurmeistertitel sollte zunächst ein Fernstudium der Politikwissenschaften folgen. Allerdings ließ sich das nicht mit der Lebenswirklichkeit einer selbstständigen Mutter verwirklichen. Doch dann wird ihr auf Instagram eine Anzeige für das überparteiliche Ausbildungsprogramm „Love Politics“ angezeigt, das „politische Talente in der Mitte der Gesellschaft“ sucht und in 9 Monaten zu „Politiker:innen des 21. Jahrhunderts“ ausbildet. Sie bewirbt sich und bekommt eines der begehrten Stipendien.

Als nun die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) für ihre Kampagne „Raum für Demokratie“ 1.000 Orte in Deutschland sucht, an denen Menschen im Vorfeld der Bundestagswahl in den Dialog kommen, kommt man auf Taibe zu: „Ist das nichts für dich?“ Aber so was von! „Ein lebendiger Meinungsaustausch findet bei mir im Salon schon immer statt. Hier wird ganz unverfälschte Lebensrealität geboten“, sagt Taibe und findet: „Wir müssen einfach als Gesellschaft wieder mehr ins Gespräch kommen! Wir brauchen ‚everybodys‘, die sich unterhalten, und nicht die immer gleichen Köpfe bei Maybrit Illner oder Markus Lanz.“ Sie überlegt sich für ihren Raum der Demokratie daher ein eigenes Format: „Politik im Friseurstuhl“. Die ersten Runden waren schon sehr ergiebig. Es geht um den Austausch, das Zulassen anderer Meinungen, das aktive Zuhören und ums Voneinanderlernen. So wird Taibe immer wieder gefragt, wie der Weg als Quereinsteigerin in die Politik funktioniert. Und wie sie als Mutter zweier Kinder, als Selbstständige und als Schulpflegschaftsvorsitzende das alles schafft.

Mit viel (Zeit-)Einsatz, Wille, Hartnäckigkeit und der Überzeugung: Für den Quereinstieg in die Politik ist der Friseursalon die beste Schule gewesen: „Als Friseurin bin ich so nah an den Menschen dran, ich höre ihre Sorgen und Nöte. Eigentlich ist eine interessierte Friseurin doch der Joker für eine Partei.“ Sie schaut sich also in der lokalen Parteienlandschaft um, denn sie will lernen, wie Politik funktioniert und wie man in eine Position kommt, in der man etwas verändern kann - ohne sich dafür verbiegen zu müssen oder den eigenen Wertekompass zu verlieren. Die Grünen in Neukirchen-Vluyn heißen das und sie herzlich willkommen.

Taibes Ziele stehen fest: Ratsmitglied werden, dann auf Landesebene wirken, wo sie Veränderungsprozesse anstoßen kann. „Bei Bundespolitik bin ich aber auch am Start“, zwinkert sie. Besonders wichtig sei ihr, keine Parteipolitik nach Schema F zu machen, sondern Lösungen zu finden für die Probleme, die sie alltäglich hört: aus den Kitas, aus der Schule, von den Rentnern, von den Selbstständigen, von den Angestellten, von den Alleinerziehenden - von den Menschen halt.

Taibe Qorri ist auf Instagram und Facebook unterwegs. Wer mal im Raum der Demokratie vorbeischauen möchte, meldet sich dort oder schreibt eine E-Mail an taibe.qorri@gmail.com.