Seit es die Duisburger Filmwoche gibt, ist sie eine Angelegenheit für Experten: Dokumentarfilmer treffen auf Fernsehredakteure, Wissenschaftler, Kritiker und Studenten. Wer häufiger da war, kennt den harten Kern, der jedes Jahr kommt; manche sprechen von "Gemeinde". Man könnte auch sagen: Establishment. Obwohl sich das Establishment hier vor allem als Anti-Establishment versteht: gegen Formatfernsehen und Weltbilder, die auf ihren Informations- oder Nachrichtengehalt reduziert werden.
Was dann für Ärger sorgt, wenn es sich Filmemacher in den Augen der Gemeinde zu leicht machen. Zum Beispiel der anerkannte, schon mehrfach in Duisburg vertretene Ulrich Seidl. Was denn dessen Film "Safari" hier zu suchen habe, noch dazu so prominent am Freitagabend platziert, musste sich die Filmwoche-Kommission fragen lassen, die stellvertretend für den verhinderten Regisseur auf dem Diskussionspodium saß. Ex-Kommissionsmitglied Peter Ott sprach gar von einem "besonders dummen" Film und meinte: "Das ist rechts."
"Safari" begleitet eine tatsächlich recht einfältige österreichische Familie auf Großwildjagd nach Afrika, lässt sie fachsimpeln und rationalisieren, bis zur finalen, ausführlich gezeigten, abscheulichen Tötung einer Giraffe. Die Afrikaner, die als Jagdhelfer arbeiten, kommen nicht zu Wort. Da übernimmt der Film die Perspektive der "Kolonialherren"; die Obszönität von Großwildjagden wird zur Kenntlichkeit entstellt — auch für die nicht-professionellen Filmzuschauer.
Die die Filmwoche ja auch erreichen will. Weshalb am Samstagnachmittag "Happy" lief, Carolin Genreiths Film über sich und ihren Vater, der ihr eröffnet, eine Thailänderin heiraten zu wollen, die genauso alt ist wie sie. Woraus sich eine Komödie entwickelte, bei der Tochter (und Zuschauer) den "total peinlichen" Vater verstehen lernen. Und den Pragmatismus von Bewohnern eines armen Landes, für die Versorgung tatsächlich eine Rolle spielt. Zielsicher verlieh die Publikumsjury — Leser der Rheinischen Post, die sich eine Woche für die Filmwoche freinehmen — den Publikumspreis an "Happy", der nächstes Jahr auch ins Kino kommt.
Unter der Woche gab's dann auch den härteren Stoff, Philip Scheffners "Havarie" zum Beispiel. Scheffner wollte ursprünglich Flüchtende auf ihrem Weg übers Mittelmeer begleiten, entschied sich aber dagegen, "weil die Bilder von Menschen in Booten, die sich infolge der europäischen Grenzpolitik in Lebensgefahr begeben müssen, [...] heute [...] zu unserem Alltag gehören." Stattdessen dehnte er einen dreiminütigen Youtube-Clip auf 90 Minuten aus und beließ alles weitere dokumentarische Material auf der Tonspur. Dafür gab's den Arte-Dokumentarfilmpreis.
Der 3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm ging an "Brüder der Nacht" von Patric Chiha, der wie in einem Spielfilm bulgarische Roma, "junge Burschen", in Szene setzt, die sich in Wien als Strichjungen verdingen, um frei sein zu können.
Der Förderpreis der Stadt Duisburg ging an "Mirr" von Mehdi Sahebi, der im Nordosten Kambodschas die Landbewohner ihre Enteignung durch ausländische Firmen nachspielen lässt.
Der "Carte Blanche"—Nachwuchspreis des Landes NRW ging an "Paradies! Paradies!" von Kurdwin Ayub, die ihren Vater ins kurdische Autonomiegebiet im Nordosten des Iraks begleitet, von wo die Familie vor einiger Zeit geflüchtet ist.
Auch im 40. Jahr haben Werner Ruzicka und seine Kommissionskollegen eine Filmwoche präsentiert, die vor allem die immer neuen Möglichkeiten aufzeigt, mit Wirklichkeit umzugehen. Es war eine gute Zeit für alle, die sich für Wirklichkeiten interessieren.