Eines war schon klar, bevor Christine Gebhardt-Radek, die alle nur Christel nennen, den Raum betrat: Es würde Tränen geben. So stand gleich neben dem zu ihren Ehren aufgestellten Korbsessel ein großes Paket Papiertaschentücher bereit. Zurecht: Die Abschiedsfeier für die 66-jährige Lankerin, die nun nach sage und schreibe 38 Jahren als Leiterin der Städtischen Kita „Mullewapp“ in den verdienten Ruhestand wechselt, wurde eine emotionale Angelegenheit – für Kinder, Eltern und Kolleginnen, für zahlreiche Wegbegleiter und Freunde.
Die Leitung des idyllischen Nierster Dorfkindergartens gegenüber der Kirche St. Cyriakus hat Christine Gebhardt-Radek tatsächlich schon am Tag der Eröffnung übernommen. 28 Jahre alt war sie damals, zuvor hatte sie sechs Jahre in Lank in der heutigen Kita „Tabaluga“ ihre Ausbildung absolviert und als Erzieherin gearbeitet. Den leicht vergilbten Zeitungsartikel über die Eröffnungsfeier in Nierst am 14. März 1987 hat sie bis heute gut aufbewahrt. Für 270000 D-Mark hatte die Stadt Meerbusch die alte Volksschule an der Stratumer Straße zur Kita für zwei Gruppen umgebaut.
Das ländliche Flair, der Zusammenhalt und das gesellige Miteinander in Nierst hat die Erzieherin aus Leidenschaft von Anfang an gepackt. „Meine Familie kommt selbst vom Land im Hunsrück“, erzählt sie. „Hier ist vieles ähnlich. Man kennt sich, es geht familiär zu. Unsere Kinder feiern alle Feste wie Karneval oder St. Martin hautnah mit der Dorfgemeinschaft mit, die Zusammenarbeit mit Eltern und den Vereinen war immer bestens.“ Zudem hätten die Kita-Kinder immer wieder Gelegenheit, an der frischen Luft Natur und Landwirtschaft in Nierst zu erleben. „Das prägt das Leben hier maßgeblich mit.“
Leiterin war Christine Gebhardt-Radek stets mit Leib und Seele, das Wohl ihrer Kita „Mullewapp“ ging ihr auch in der Freizeit nicht aus dem Kopf. „Aus dem Urlaub kam sie stets mit dem gleichen Satz wieder: „Ich hab‘ da mal eine Idee!“, berichtet Stellvertreterin Claudia Strucks. Und diese Ideen setzte die Chefin gern im Handumdrehen um: Die Kita wurde zum zertifizierten „Haus der kleinen Forscher“, Kinder, Erzieherinnen und Eltern backten Kuchen für ukrainische Geflüchtete, nahmen regelmäßig am Meerbuscher „Saubertag“ teil, testeten das Kita-Leben beim „Tag ohne Strom“ oder packten nach St. Martin Süßigkeitentüten für wirtschaftlich benachteiligte Familien.
Rückhalt für ihre Arbeit erfuhr Christel Gebhardt-Radek auch von ihrer Familie: Ihr inzwischen verstorbener Vater Helmut, Handwerker der „alten Garde" und langjähriger Tambour-Major des Bundesspielmannszuges Lank, kümmerte sich um kleinere Reparaturen in der Kita und zeigte den Kindern gerne, wie man Marschtrommel und Flöte spielt. Und auch Ehemann Jo half, wo er konnte, packte bei Festvorbereitungen tatkräftig mit an.
Jetzt beginnt für die „Leiterin im Ruhestand“ ein neuer Lebensabschnitt. Einen fixen Termin hat sie schon: Das Kolleginnen-Team schenkte der Schottland-Liebhaberin zum Abschied Tickets für eine große „Pipes and Drums“-Musikparade. Dazu gab’s einen „Erste-Hilfe-Koffer für Rentnerinnen“.