Dokumente eines Krefelder NS-Opfers Übergabe nach 80 Jahren
Krefeld · Das Arolsen Archiv sucht Nachfahren ehemaliger NS-Häftlinge, um ihnen die aufgefundenen letzten Besitztümer der Opfer zu übergeben. In Krefeld wurde das Archiv fündig.
Es ist nicht viel, was man von ihm weiß. Robert Genenger wurde 1887 in Krefeld geboren, Spross einer Dachdecker-Dynastie, deren Betrieb bis heute in mittlerweile vierter Generation geführt wird. Doch den jungen Dachdecker zog es nach Berlin. Warum, ist nicht bekannt.
1940 verhaftete ihn die Kriminalpolizei. Grund: Arbeitsverweigerung und Urkundenfälschung. „Was das genau bedeutet, bleibt unklar“, merkt Sandra Franz an, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer an der Friedrich - Ebert- Straße.
Der polizeiliche Vorwurf hört sich nach einem typischen Vorwand des NS-Regimes an, unliebsame Menschen einzukasernieren. Ebenso wäre es möglich, dass zumindest teilweise ein krimineller Straftatbestand in Frage kommt.
Robert Genenger wurde zu fünf Monaten Haft im Gefängnis Spandau verurteilt. Danach aber wird er nachweislich Opfer des NS-Regimes.
Denn nach Verbüßung seiner Strafe wird er in eine so genannte „Schutzhaft“ genommen und ins Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Bis zu seiner Befreiung 1945 durchleidet er drei weitere Konzentrationslager: Ravensbrück, Sachsenhausen und Dachau. Er geht in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands, die spätere DDR, wo sich seine Spur verliert.
Dr. Anke Münster leitet das Arolsen Archiv in Bad Arolsen. Es sammelt Gegenstände, die Insassen von Konzentrationslagern von ihren Wärtern abgenommen worden waren. Darunter sind Schmuckstücke, Briefe, Pässe oder sonstige persönliche Erinnerungsstücke.
Auch von dem Krefelder Robert Genenger fanden sich zwei „Effekten“, wie es in der Fachsprache der Historiker heißt: ein Arbeitsbuch mit den Nachweisen seiner beruflichen Stellungen und der Entlassungsschein aus dem Gefängnis Spandau.
Das Archiv hat die Wanderausstellung „stolen memory“ (Gestohlene Erinnerung) organisiert, in der in einem mobilen Container die Fundstücke mit den Namen ihrer Besitzer veröffentlicht werden. Ziel: „Wir wollen die Nachfahren und Familienangehörige ausfindig machen, um ihnen die Erinnerungsstücke zu übergeben“, erklärt Dr. Münster. Der Container machte auch in Krefeld Halt. Er stand im vorigen Jahr auf dem Von-der-Leyen-Platz. Angehörige wurde gebeten, sich zu melden.
Es meldeten sich August Genenger und seine Schwester Martha Stang, Großneffe und Großnichte des verschollenen Vorfahr. „Wir wussten nicht viel vom Großonkel“, erklärt August Genenger. In der Familie war über ihn kaum gesprochen worden. Aber die Papiere weisen ihn eindeutig der Familie des bekannten Dachdeckerbetriebes zu. Gerührt nahmen die Geschwister in der Villa Merländer Arbeitsbuch und Entlassungsschein aus den Händen von Dr. Anke Münster und Sandra Franz entgegen. Damit befinden sich die Erinnerungsstücke nun im Besitz der Familie.
In ganz Europa und sogar in Übersee versucht das Arolsen Archiv rechtmäßige Erben von archivierten Fundstücken ausfindig zu machen. Rund 5000 Gegenstände kamen 1963 in den Besitz des Archivs. Rund 500 Familien konnten bisher ausfindig gemacht werden. Nun auch eine Familie in Krefeld.