Reportage Ein Tag in Europas Machtzentrum
Brüssel/Krefeld · Am 26. Mai findet in Deutschland die Europawahl statt. Der Extra-Tipp besuchte in dieser Woche mit einer Gruppe Krefelder das Europäische Parlament in Brüssel.
Mittwochabend, 19.03 Uhr, Brüssel. Lukas (25) und sein bester Freund Calvin (24) schauen gebannt ins weite Rund des Plenarsaals. Von der Besuchertribüne im vierten Stock aus lauschen sie der Diskussion. Die beiden Krefelder sind zum ersten Mal in der belgischen Hauptstadt. Man sieht ihnen an, dass sie beeindruckt sind. Ebenso ergeht es der 19-jährigen An, die anlässlich der Europawahl am 26. Mai erstmals ihre Stimme abgeben wird. „Da nutzt man eine solche Einladung doch gerne“, sagt sie. Lukas, Calvin und An haben die Chance ergriffen, an dieser von den „Jusos“ organisierten Tagestour nach Brüssel teilzunehmen. Die für Krefeld zuständige Europa-Abgeordneten Petra Kammerevert (SPD) hat dies möglich gemacht.
Ein Blick zurück. Es ist 9.09 Uhr. Vom Zentralen Omnibusbahnhof, passenderweise am Willy-Brand-Platz, aus geht es an diesem verregneten Mittwochmorgen los. Und wie. Ein Bums. Busfahrerin Siggi wollte ihre Gäste schnellstmöglich ins kuschelig Warme holen, da war es schon passiert. Beim Rückwärtsfahren touchiert sie den Spiegel eines SWK-Linienbusses. Die Angelegenheit ist schnell geregelt. „Wir starten also fast pünktlich“, freut sich Lukas Paslawski, Kammereverts Büroleiter in Düsseldorf, der uns an diesem Tag als Reiseleiter zur Seite steht. 32 solcher Fahrten begleitet er pro Jahr. Auch gestern schon war er in Brüssel. Spaß, so sagt er, macht es ihm immer noch. „Jede Gruppe ist halt anders.“ Seine witzige und lockere Art springt auf die 40 Krefelder über. Die Stimmung an Bord ist gut. Die Reisenden, nur wenige davon sind Mitglieder der SPD, lernen sich kennen, tauschen sich aus, fachsimpeln über politische Themen. Politisch interessiert scheinen sie alle zu sein.
11.32 Uhr. Ankunft in Brüssel. Stadtführer Erik Wauters springt an einer roten Ampel in den Bus. Er zeigt uns monumentale Gebäude, wunderschöne Parkanlagen, plaudert im herrlich-erfrischenden „Rudi Carrell-Deutsch“ über das Königshaus, belgische Biere und natürlich die Qualität der Schokolade. Eine knappe Stunde haben wir nach der Rundfahrt Zeit, um die City fußläufig zu erkunden. Leider viel zu kurz. Denn die 1,2 Millionen-Metropole hat, so der erste Eindruck, einiges zu bieten. Auch kulinarisch. Es geht weiter zur „weltbesten Pommesbude“ - so schrieb einst die New York Times. Die Vorzüge von „Maison Antoine“ weiß auch Kanzlerin Angela Merkel zu schätzen, die bereits einige Male am „Place Jourdan“ gesichtet wurde. Das erste Highlight steht bevor. Im „Parlamentarium“, dem größten Besucherzentrum Europas, erfährt die Krefelder Gruppe dank tragbarer Multimedia-Guides, wie sich die europäische Integration entwickelt hat, wie das Europäische Parlament arbeitet und was seine Mitglieder tun, um den Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen. Das Parlamentarium ist dynamisch und interaktiv angelegt und kann in jeder der 24 Amtssprachen der Europäischen Union erkundet werden. „Das ist alles sehr spannend“, sagt An Pham, die im vergangenen Jahr ihr Abitur am Arndt-Gymnasium baute. Auch Lukas und Calvin haben Spaß am knapp einstündigen Rundgang.
Nur wenige Schritte entfernt liegt das Parlamentsgebäude. Die Krefelder warten nun auf „ihre“ Abgeordnete, die sich nach einem gemeinsamen Gruppenbild reichlich Zeit nimmt, um sich mit den potenziellen Wählern auszutauschen. Die Gäste löchern die Politikerin mit Fragen, wollen wissen, was sie von den Brexit-Verhandlungen („Wir verfolgen das Drama aus Brüssel vom Spielfeldrand.“), von der Debatte um die Uploadfilter („Ich war immer dagegen.“) und die zwei Sitze des Parlaments in Brüssel und Straßburg hält („Ein Betriebsunfall, der korrigiert werden müsste.“).
Büroleiter Lukas Paslawski blickt unruhig immer wieder auf seine Uhr, mahnt zum Aufbruch. Jetzt muss es schnell gehen, denn sonst ist auf der ständig überfüllten Besuchertribüne kein Platz mehr frei. Hektisch eilt die Gruppe per Aufzug auf die vierte Ebene des riesigen Gebäudekomplexes. Die Krefelder kommen noch rechtzeitig an, um wenigstens für einige Augenblicke der Plenarsitzung zu folgen.
Es ist 19.10 Uhr. Der Bus wartet schon. Jetzt muss nur noch geklärt werden, welcher Film während der Rückfahrt geschaut wird. Vier Streifen stehen zur Auswahl. Überraschenderweise erhält „Der junge Karl Marx“ die meisten Stimmen. Doch nicht alle blicken auf die kleinen Monitore. Manche Gäste schließen die Augen. Ein spannender, abwechslungsreicher, aber auch anstrengender Tag neigt sich dem Ende entgegen.
Um kurz nach 22 Uhr biegt Busfahrerin Siggi wieder auf den Willy-Brandt-Platz ein. Diesmal ohne Bums...Die SPD-Europa-Abgeordnete Petra Kammerevert (vorne kniend) begrüßte die Krefelder Reisegruppe im Europäischen Parlament.Foto: European Union 2019