„Nirgendwo ist der November schöner als in Duisburg“, sagt Kulturdezernentin Astrid Neese. Tatsächlich schildern langjährige Festivalbesucher, dass es bei der Filmwoche - immer nach dem ersten Novemberwochenende - von Jahr zu Jahr wärmer geworden sei. Das aber ist anderswo möglicherweise auch so und das meint Neese natürlich nicht. „Schön“ ist ja überhaupt relativ, aber tatsächlich ist Jahr für Jahr schön zu sehen, was es alles zu sehen gibt, wenn man mal länger irgendwohin schaut und über den Tellerrand hinaus, wie konzentriert und lustvoll sich Filme betrachten und diskutieren lassen, weshalb in dieser Woche dann auch Nichtfilmwochengäste gerne gegen Mitternacht das Ex-„Graefen“ aufsuchen, wo der harte Gemeindekern die tagsüber angesammelten Gedanken verflüssigt ... Der Bildungsurlaub, den die veranstaltende Volkshochschule wegen des großen Andrangs gleich in zwei Gruppen anbietet, ist schon seit Wochen ausgebucht.
Als kritisch-künstlerisch-studentisch geprägtes Festival ist die Filmwoche quasi das Gegenstück zum Sommerkino, trägt damit aber zum überregionalen respektive intellektuellen Renommee Duisburgs bei wie nur wenig andere(s). In Zeiten, wo andere Dokumentarfilmfestivals publikumsheischend mehr oder weniger auf marktgängige Formatfernsehproduktionen setzen, ist Duisburg der letzte Halt fürs freie Hinsehen.
Womit wir beim Motto der diesjährigen Filmwoche wären: „Halt“. Das spielt etwa bei der Filmauswahl wie immer keine Rolle, sondern ist mehr so eine Erlebnishilfe. Es geht um den Halt, den die Kinderhand auf dem Plakat an der Kette der Schaukel findet, und um das „Halt! Stopp“, dass man diesen unseren Zeiten gerne entgegenrufen würde. Und wo findet man schon so viel Halt wie im Kino?
Und die diesjährige Filmwoche ist auch letzter Halt vor der 50, dem großen Jubiläum im nächsten Jahr. Weshalb es dieses Jahr mit einem jungen Film losgeht: „My boyfriend el fascista“ wird, nach dem Empfang und den Reden, die Filmwoche am Montagabend eröffnen. Im Film zeigt Regisseur seinen Lebensgefährten, der als Exilkubaner politisch sehr aktiv ist und immer weiter nach rechts abdriftet. Ein sehr gegenwärtiger Film, wie Filmwochensprecherin Mareike Theile sagt: „Wir erleben ja gerade alle, wie sich politische Spannungen im Privaten entladen.“
Der Freitagabend ist, neben der Eröffnung, vielleicht der publikumsträchtigste Termin bei der Filmwoche; wie zur Eröffnung gibt es auch dann eine deutsche Erstaufführung in Duisburg: „B wie Bartleby“. Es geht um die berühmte Erzählung des Moby-Dick-Schöpfers Herman Melville über einen Kanzleischreiber an der Wall Street, der immer, wenn ihm eine Aufgabe angetragen wird, antwortet: „I would prefer not to“ - ich möchte lieber nicht. Beziehungsweise geht es um den Partner der Regisseurin Angela Summereder, der aus diesem „Ur-Halt-Sager“, wie Filmwochenleiter Alexander Scholz Bartleby nennt, einen Film machen will. Was aus „B wie Bartleby“ einen Essayfilm macht, der die Frage stellt, was Reproduktion ist und was Original und, so Scholz, „der eine Idee davon hat, dass reproduktive Arbeit weiblich konnotiert ist“.
Unter den mehr als 600 Einreichungen, die Scholz mit seiner Auswahlkommission gesichtet hat, seien besonders viele Filme gewesen, „die an Diskurse anschließen, die in meinem Alltag präsent sind“. Wie im Eröffnungsfilm gehe es in vielen Filmen um das Politische im Privaten und um die gesellschaftliche Bewegung nach rechts. Es gehe außerdem viel um Arbeit. Die ausgewählten Filme seien aber kein Debattenbeitrag, sondern „eine Einladung zur Wahrnehmung“, so Schloz: „Unser Programm behauptet nicht, es zeigt. Die Filme vertrauen ihren Bildern und damit ihrem Publikum: Sie fordern uns auf, aufmerksam zu sein.“ Da ist es dann gar nicht mehr so wichtig, eine Haltung mit einer anderen zu kontern, und ebenso wenig, dass sich alle einig sind. Scholz: „Wenn ich davon ausgehe, dass nur Gleichgesinnte im Kino sitzen, brauche ich nachher nicht nach nebenan in den Diskussionssaal.“