Mein 9. November: Dr. Eugen Gerritz besuchte an diesem Tag die DDR „Die Berliner Mauer hat ein Loch“

Krefeld/Leipzig · Vor 25 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Ausgerechnet genau an diesem Tag besuchte ein bekannter Krefelder die DDR. Der Zeitpunkt war reiner Zufall.

Historisch: Als die Menschen die Berliner Mauer stürmten, begann eine neue Ära deutscher und europäischer Zeitrechnung. Seitdem ist die politische Welt eine andere.

Foto: Senat Berlin/CC-BY-SA 3.0

Dr. Eugen Gerritz hat über Jahrzehnte das Kulturleben Krefelds begleitet. Von 1980 bis 95 vertrat der SPD-Politiker die Krefelder Bürger im NRW-Landtag; und stieg zum kulturpolitischen Sprecher seiner Fraktion auf.

1989 plante das Kultusministerium eine Präsentation von Nordrhein-Westfalen in der DDR. Gerritz gehörte zur Delegation: "Die Eröffnung der NRW-Kulturtage in Leipzig war auf den 9. November gelegt worden", erinnert sich Gerritz, "das Datum war ein reiner Zufall."

Als Gerritz und die Delegation mit dem Bus die Grenze zur DDR passierten, war der SED-Staat bereits in Aufruhr. "So um Weihnachten gibt es die Mauer nicht mehr", prognostizierte der Krefelder beim Grenzübertritt äußerst keck. Die Mitreisenden schüttelten den Kopf: Wie konnte man nur so naiv sein?, schienen ihre Mienen zu sagen. Ein Abgeordneter, der in seiner Jugend im DDR-Gefängnis gesessen hatte, bezeichnete Gerritz denn auch unumwunden als "ahnungslos."

Doch noch am selben Tag beim Empfang in Leipzig kommt genau dieser Kollege aufgeregt auf die Gruppe zugelaufen und ruft: "Die Berliner Mauer hat ein Loch." Nun ist es Gerritz, der ungläubig guckt: "Angesichts des Dialogs vom Vormittag verbat ich mir seine Witze."

Doch es ist kein Witz. Tausende Berliner stürmen bereits den Todesstreifen. Gerritz notiert in sein Tagebuch: "Unbeschreiblicher Jubel um Mitternacht."

Diese persönlichen Aufzeichnungen aus den dramatischen Tagen vom 9. bis 15. November hat der engagierte Krefelder als "Leipziger Tagebuch" wieder auflegen lassen. Sie sind erschienen im Sassafras-Verlag, umfassen knapp 60 Seiten und werden in Kürze in den Krefelder Buchhandlungen erhältlich sein.

Ihr historischer Wert wurde von höchster Stelle bestätigt. Niemand geringeres als der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau urteilte im Jahr 1999 über die Aufzeichnungen: "Diese Seiten sind eine hochinteressante und sehr bewegende Lektüre." Gerritz war mit Rau aus gemeinsamer Landtagszeit gut bekannt.

Bewegend sind die Tagebucheinträge auch für den Autor selber: "Ich kann aus dem Buch nicht vorlesen", bekennt er im Gespräch mit dem Extra-Tipp, "das muss bei einer öffentlichen Lesung ein anderer tun." Zu sehr lassen die Erinnerungen an die bewegenden Stunden in Leipzig die Gefühle hochkochen.

Goethe hatte einst nach einer historischen Schlacht stolz bekannt: "Wir sind dabei gewesen."

Eugen Gerritz kann dies von sich auch sagen - nur mit dem Unterschied, dass die "Schlacht", die er hautnah mitbekam, friedlich verlief. Dies dürfte das größte Geschenk in dieser ereignisreichen Zeit gewesen sein.

(City Anzeigenblatt Krefeld II)