Extra-Tipp: Viele Ältere sind der Meinung, Klimaschutz sei etwas für die jüngere Generation, Sie sagen, gerade die Generation 60+ sei im besten Alter, etwas zu ändern. Warum?
Bärbel Höhn: Ich spreche die Älteren deshalb besonders an, weil ich gedacht habe, wo ist eigentlich mein Part, wen kann ich erreichen? Zum Einen haben die Älteren noch mehr einen Bezug zu mir als ehemaliger NRW-Umweltministerin, die unter 30-jährigen kennen mich nicht mehr. Zum Anderen habe ich aber gedacht, die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist älter. Wenn wir überhaupt eine Mehrheit für einen ehrgeizigen Klimaschutz gewinnen wollen, sind das die Älteren. Und diese Mehrheit haben wir momentan noch nicht.
Sie sagen, die Älteren sind besonders betroffen?
Ja, das sieht man zum Beispiel an der Wärmepumpe. Das sind ja gerade die Älteren, die alte Häuser haben und jetzt investieren sollen. Das sind gleichzeitig auch die, die weniger Veränderung wollen. Sie sagen: Jetzt hab ich mein ganzes Leben lang gearbeitet, jetzt lasst mich mal in Ruhe. Und jetzt kommen wir und sagen, wir brauchen ganz viel Veränderung. Wir müssen den Älteren erklären, warum das notwendig ist: Leute, Ihr macht so viel für Eure Kinder und Enkel, aber an die Umwelt denkt Ihr dabei nicht.
Eigentlich ist Ihr Buch ja eine Art Sachbuch, aber auch sehr persönlich, manchmal sogar privat.
Ich wollte ein Buch schreiben für Leute, die ganz normal in ihrem Leben stehen und sich über die Medien informieren, nicht mehr und nicht weniger. Es macht Sinn, das mit privaten Dingen zu verknüpfen, ich selber hab dadurch auch gelernt. Ich bin ja da, wo ich heute bin, durch das, was ich in meinem Leben erlebt habe. Das gehört zu mir dazu. Ich merke auch, dass das bei ganz vielen ankommt.
Worum geht es Ihnen besonders?
Die Älteren müssen verstehen: Es geht nicht nur darum, unseren Enkeln unser privates Wissen zu hinterlassen, sondern das Klimaproblem auch gesellschaftlich zu lösen, um den Jüngeren überhaupt noch eine Zukunft zu geben. Ich fand dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts gut, das junge Leute erstritten haben. Das besagt, wenn diese jungen Leute in Zukunft noch eine Freiheit haben sollen, muss jetzt die Bundesregierung ehrgeiziger den Klimaschutz verfolgen. Das müssen wir den Älteren klar machen, dass ihre Kinder und Enkel betroffen sind, für die ja alle das Beste wollen.
Sie zitieren Antonio Guterres (Generalsekretär der Vereinten Nationen) mit dem Satz „Wir befinden uns auf dem Highway zur Hölle mit dem Fuß auf dem Gas“.
Ich versuche in den Veranstaltungen immer deutlich zu machen, wie lang die Erdgeschichte ist. Dazu habe ich ein 4,60 Meter Flatterband für 4,6 Milliarden Jahre. Dann zeige ich, vor 3,5 Milliarden Jahren gab es die ersten Einzeller, das sind 1 Meter Flatterband. Die Dinosaurier kamen vor 250 Millionen Jahren und und verschwanden vor 60 Millionen Jahren. Auf meinem Flatterband sind sie also vor 25 Zentimetern gekommen, verschwunden vor 6 Zentimetern. Vor 6 Millionen Jahren hat sich der Menschenaffe vom Schimpansen getrennt, 6 Millimeter. Der erste Homo sapiens wurde vor 300 000 Jahren gesehen, 0,3 Millimeter. Wann war die Industrialisierung? Vor 250 Jahren. Seit wann sind wir eigentlich überbordend und verletzen die Erde immer mehr? Das sind die letzten 75 Jahre, seit 1950 ungefähr. Das ist dann auf meinem Flatterband im Nano-Bereich, nicht mehr darstellbar. Das ganze Gleichgewicht der Erde gefährden wir massiv.
Woran sehen wir, dass wir längst mittendrin sind in der Klimakrise?
Ich sehe es in Ostafrika und der Dürre, die in einigen Jahren mehr als 20 000 Tote zur Folge hatte. Als das Wasser dann kam, war es eine Sturzflut, die alles weggeschwemmt hat. Im Süden der Sahara herrscht furchtbare Trockenheit. Die Folge ist auch immer mehr Gewalt im Kampf um die Ressourcen. In Europa war die Erwärmung in den letzten Jahren besonders stark: Stichwort Ahrtal, die Überschwemmungen jetzt in Niedersachsen, die Hochflut an der Ostsee, wo sowas sonst nie war. Als der Rhein so wenig Wasser hatte, konnten die Frachter nur noch mit halber Last fahren. Das führt zu Lieferkettenengpässen und Erhöhungen von Preisen.
Dann wird es also für alle teuer.
Wir brauchen nicht nur Geld, um CO2 zu reduzieren, wir brauchen auch Geld um uns anzupassen. Es gibt jetzt auch einen Fonds für Schäden und Verluste. Wir zahlen immer mehr. Beim Ahrtal war noch vom „Wumms“ die Rede. Jetzt in Niedersachsen redet schon keiner mehr von Entschädigung. Irgendwann ist auch das reichste Land überfordert und die Menschen werden privat zur Kasse gebeten.
Haben Sie den Eindruck, dass das Thema in der breiten Bevölkerung angekommen ist?
Nein. Momentan kommt eine Krise nach der anderen, weil wir in allen Punkten, nicht nur beim Klima, über die Grenzen gehen, durch die Gier und Gewinnmaximierung. Jetzt sagen aber besonders die Älteren, lasst mich in Ruhe mit den Krisen.
Was sagen Sie denen, die meinen, Deutschland, sei prozentual an der Krise ja nur wenig „schuld“.
Es müssen alle mitziehen...
...aber das tun ja nicht alle
...aber immer mehr. Sogar die afrikanischen Länder. Die nationalen Klimaberichte sind verpflichtend und jetzt sieht man, die sind nicht gut genug, wir werden bei den 1,5 Grad Erderwärmung nicht stehen bleiben. Momentan läuft es auf 2,8 bis 3 Grad hinaus. Bestimmte Entwicklungen sind gar nicht mehr aufzuhalten. Mein ganzes Leben sehe ich, dass wir das nicht rüber kriegen. Jetzt müssen wir den Leuten in immer kürzerer Zeit immer schlimmere Veränderungen zumuten. Das führt zu immer mehr Widerstand.
Zum Beispiel?
Das Heizungsgesetz war zum Beispiel nicht genug mit den Kommunen abgestimmt. Die Bekämpfung der Klimakrise findet auf kommunaler Ebene statt. Da sind dann zum Beispiel Heizungsmonteure, die ihre Mitarbeiter gar nicht für Wärmepumpen ausgebildet haben. Aber 2045 will Deutschland schon klimaneutral sein, das heißt, dann darf es keine Gas- und Öl-Heizungen mehr geben. Beides wird auch in den nächsten Jahren immer teurer werden. Für die Betroffenen eine Kostenfalle. Eigentlich müssten wir den Leuten sagen, Gas und Öl gehen nicht mehr.
Was ist das Problem dabei?
Dass die Parteien nicht an einem Strang ziehen. In der Pandemie waren sich alle – demokratischen – Parteien einig, dass eine Maske getragen werden soll. Beim Klimaschutz gibt es nur Streitereien. Das verunsichert die Leute. Der eine sagt so, der andere so, da mache ich doch lieber gar nichts und warte ab.
Weg von der Wärmepumpe, gibt es ja noch ganz andere Probleme. Verpackungen.
Ich bin über die Müllverbrennung und damit die Verpackung in die Politik gekommen. Die Verpackungsverordnung war ursprünglich mal eine gute Idee, die Klaus Töpfer hatte. Die Verpackungslobby hat sie total konterkariert. Der Grüne Punkt ist ja nichts wert. Die Leute verstehen das System auch nicht mehr, weil diese ganzen Ausnahmen da sind. Ursprünglich war mal die Idee, man gibt die Verpackung im Laden wieder ab. Dann sollen das die Unternehmen sehen und beim nächsten Mal weniger Verpackung produzieren. Die Verpackungslobby hat eine gute Idee total zerlöchert. Das ist das Gleiche wie bei der fossilen Lobby. Die versuchen, immernoch, ihr Geschäft zu machen. Aber wir müssen davon weg.
Und die Lobbyisten beeinflussen auch die Menschen?
In den USA haben die Lobbyisten sehr dazu beigetragen, die rechte Bewegung zu stärken und das ist ja auch nach Europa übergeschwappt. Alle die sagen, da sollen doch erstmal China und die USA was machen und ich will doch gar nichts ändern, fallen gerne auf Leute rein, die ihnen sagen – bis in die bürgerlichen Parteien hinein – es muss sich ja gar nichts ändern. Lass doch erstmal Deine Gasheizung einbauen und betreib die später mit Wasserstoff.
Was ist denn gegen die Wasserstofflösung zu sagen?
Für Heizungen einfach zu teuer. Das ist ja keine neue Energiequelle, sondern Wasserstoff muss erstmal aus erneuerbaren Energien hergestellt werden. Das wird immer teurer sein, als wenn ich die erneuerbaren Energien direkt einsetze. Die Herstellung braucht wahnsinnig viel Energie. Wasserstoff werden sich viele gar nicht leisten können. Die Preissteigerungen hat bereits die Große Koalition festgelegt, nicht die Ampel. Jemand, der sich gerade eine neue Gasheizung eingebaut hat, wird in fünf Jahren sagen: Was war das denn für ein Rat?
Läuft es in anderen Ländern besser als hier?
In Finnland haben über 70 Prozent der Haushalte Wärmepumpen. In Schweden und Norwegen über 60 Prozent. Deutschland ist, was Wärmepumpen angeht mit sechs Prozent ganz am untersten Ende der EU. Selbst Polen, Tschechien und Österreich haben zwölf Prozent. Frankreich, Italien, Spanien haben 15 Prozent.
Wie soll das bei alten Häusern gehen, wo kein Platz ist?
Zum Beispiel mit Fernwärmenetzen aus erneuerbaren Energien. Experten sagen, in 50 Prozent der Fälle ist in Altbauten der Einbau einer Wärmepumpe kein Problem. Bei den anderen 50 Prozent ist die Hälfte mit wenig Aufwand möglich. Aber da werden Schreckgespenster von immensen Kosten gezeichnet, die die Leute abhalten. Und immer geht es darum: Wir wollen keine Veränderung. Die Lobby des Bestehenden hält aus unterschiedlichen Gründen am Fossilen fest, hält an Verpackungen fest. Deshalb gehe ich auf die ältere Bevölkerung zu, sie ist am meisten betroffen und bildet die Mehrheit in diesem Land. Die muss ich überzeugen.
Was können wir im Alltag machen. Auf alles verzichten?
Zum Einen soll jeder Einzelne mal schauen, was geht. Ich sage nicht, esst kein Fleisch mehr, fliegt nicht mehr. Sondern macht, was Ihr tut, bewusster. Und wenn Ihr wirklich fliegt, und dafür gibt es ja auch Gründe, dann kompensiert das, zum Beispiel bei atmosfair oder Klima-Kollekte, die sind bei Stiftung Warentest als seriös getestet worden. Mein Mann und ich wollten unbedingt nochmal nach Norwegen, die Orcas sehen. Wir haben einen Trip auf eine Segelboot gebucht und die Anfahrt selbst organisiert. Wir waren ganz langsam mit Nachtzügen, Bussen und ein Stück mit dem Boot in Richtung Nordkap unterwegs, 6 000 Kilometer. Das war total schön. Ältere Leute haben ja viel Zeit.
Also mal was anders machen und davon profitieren.
Aus meiner Sicht ist positiv denken wichtig. Verstärken wir doch den Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik. Je mehr wir selber produzieren, desto unabhängiger sind wir. Und das ganze Geld, was wir einsetzen, um fossile Energie zu kaufen, können wir doch besser bei uns einsetzen. Das große Geschenk, das Deutschland aus meiner Sicht der Welt gemacht hat, sind die erneuerbaren Energien. In den südlichen Ländern produzieren sie auf großen Flächen Strom für weniger als 1 Cent pro Kilowattstunde. Die Technikentwicklung hat Deutschland geleistet und damit überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, dass die Menschen auch in Afrika klimafreundlichen Strom kriegen.
Am Ende des Buches raten Sie den Leuten, Naturschutzorganisationen wie NABU oder BUND beizutreten.
Ja. Weil ich gemerkt habe, was gemeinsam zu machen, mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten, und an einer Sache zu arbeiten, Anerkennung und neue Ideen und Infos zu bekommen, das macht total viel Spaß. Mein Buch ist auch ein Buch gegen Einsamkeit. Was kann ich machen, wenn die Kinder weit weg sind, oder ich gar keine habe? Da hätte ich noch viel mehr schreiben können.