Im Gründungsjahr 1866 gehörte St. Hubert zur Rheinprovinz des Königreiches Preußen unter König Wilhelm I. Der Ort war vor allen Dingen durch Landwirtschaft und Weberhandwerk geprägt. Am 30. April versammelten sich einige Bürger nach vollendetem Tagwerk, um sich von schwerer Arbeit zu erholen und auf das milde Frühlingswetter einzustimmen. Dabei nimmt nach einigen "Bittern" und Bieren die Idee Gestalt an am Folgetag zu gemeinsamem Tun aufzubrechen. Doch schauen wir dazu in die ersten Seiten des original erhaltenen, 2009 aufwendig restaurierten Protokollbuches der Maigesellschaft in den Bericht des ersten Schriftführers Conrad Pielen:
"Am 1. Mai des Jahres 1866 verabredeten sich einige Bürger in St. Hubert, um am nächsten Sonntag , den 6. Mai gemeinschaftlich eine Land-Parthie von hier nach dem benachbarten Orte Stenden zu machen, und zwar, um hier die schöne Mai-Luft zu genießen, ward beschlossen, des morgens früh die Wanderung anzutreten, zu Stenden der ersten hl. Messe beizuwohnen, und nach derselben beim Wirthe Heinr. Lehmann (in der Nähe der Kirche) gemeinschaftlich Kaffee zu trinken. In der Folge dieses Beschlusses versammelten sich am Sonntag den 6. Mai früh gegen 4.30 Uhr beim Wirthe Jacob Hoenen folgende Mitglieder, unter dem Namen Mai-Gesellschaft:
1)Jacob Kohr, 2) Andreas Mölters, 3) Hubert Borges, 4) Heinrich Borges, 5) Johann Hünnekens, 6) Heinrich Rahnen, und 7) Jacob Hoenen.
Vom schönen Wetter begünstigt, und mit Gebetbuch und Rosenkranz versehen, ward sofort die Reise durch die grünen Waldungen angetreten, und man traf gegen 6.00 Uhr beim Wirthe Heinr. Lehmann zu Stenden ein. Nachdem sich jeder etwas vom Staub gereinigt, und einen Bittern getrunken, gingen sie gemeinschaftlich zur Frühmesse. Nach beendigter Frühmesse war beim Wirthe Lehmann der Kaffee schon fertig, und ward derselbe, des warmen Wetters wegen, im Freien unter einem Kirschbaum sitzend, getrunken. Gegen 10.00 Uhr erfolgte die Rückreise, und ward diesmal ein anderer Weg durch die Waldungen gewählt und angetreten. Da jedem die Land-Parthie so schön gefallen hatte, so ward beschlossen, jedes Jahr am ersten Sonntag im Mai dieselbe gemeinschaftlich fortzusetzen, und würden auch einige neue Mitglieder hierzu eingeführt werden können. (Eintrittsgeld zehn Sgr.) (Sgr. = Silbergroschen, Währung in Preußen zwischen 1821 und 1873)
Die Gründer der Maigesellschaft blieben ihrem Beschluss treu und so folgte der ersten Wanderung 1866 Jahr für Jahr eine neue. Das alte, in Leder gebundene und mit einem metallenen Beschlag zum Verschluss versehene Protokollbuch, das vom Gründungsjahr an geführt wurde, berichtet von jedem einzelnen stattgefundenen Spaziergang nach Stenden. Es wird sorgfältig vermerkt, welches Mitglied mit oder ohne Entschuldigung fernblieb, wer neu aufgenommen wurde, wer aus der Maigesellschaft austrat oder im vergangenen Jahr vor der Wanderung verstarb. Neben den stets vorhandenen Angaben über das Wetter, das nicht immer so schön wie bei der ersten Maiwanderung war, werden immer wieder die größeren und kleinen Geschehnisse erwähnt, die sich während der Wanderung abspielten. Hin und wieder berichteten die jeweiligen Schriftführer auch von Dingen, die nicht nur für die Maigesellschaft allein von Interesse sind. So gewehrt das alte und auch das nachfolgende Protokollbuch seit 1977 mittlerweile über 149 Jahre hinweg getreulich und ununterbrochen einen Rückblick über die Entwicklung und die Geschichte der Maigesellschaft in St. Hubert.
Während dieses langen Zeitraumes haben sich Sinn und Zweck des Vereines, wie er im Gründungsbericht nieder gelegt worden ist, nie verändert. Das Vereinsleben, wenn man bei der Mai- Gesellschaft überhaupt von einem solchen sprechen kann, ist von Anfang an danach ausgerichtet worden.
Einmal im Jahr findet Im April eine Versammlung aller Maibrüder — wie sich die Mitglieder der Maigesellschaft nennen — statt, in der unter Leitung des Präsidenten über die Fragen abgestimmt wird, die in jedem Jahr aufs Neue geklärt werden müssen. Hierzu gehören die Entscheidung darüber, auf welchem möglichen Weg durch das Bruch der Heimweg angetreten wird. Die Entscheidungsmöglichkeiten sind jedoch seit dem Bau der Autobahn A 40 in unserem Abschnitt beginnend 1974 deutlich eingeschränkt. In der Versammlung werden auch der Präsident und der Schriftführer und der Oberkoch gewählt. Es folgt zumeist ein Bericht des Schriftführers und gleichzeitigen Kassenverwalters über die Kassenlage. Der erhobene Beitrag dessen Höhe auch in der Versammlung festgelegt wird, wird grundsätzlich dazu verwand, um die regelmäßigen Unkosten für das gemeinsame Frühstück und eine Spende für die Messe an die Pfarre in Stenden zu tragen.
Wenn sich ein St. Huberter Bürger schriftlich beim Präsidenten um die Aufnahme in die Maigesellschaft beworben hat, wird über Aufnahme oder Ablehnung mit weißen und schwarzen Bohnen in geheimer Wahl — seit alters her Ballotage genannt — abgestimmt. Mittlerweile erfolgt nach Eingang einer Bewerbung in der nächsten Maiversammlung eine Information darüber an alle Maibrüder mit dem Zweck, dass sich vor der Abstimmung bei der nächst folgenden Versammlung jeder Maibruder über den Bewerber informieren kann. Dies ist im Laufe der Zeit nötig geworden, da mit zunehmender Größe des Ortes nicht mehr jeder jeden , wie es noch vor einer Generation war, wie selbstverständlich kennt. Die Mitgliederzahl schwankt in den letzten Jahrzehnten durchweg zwischen 20 und 30 Personen.
Die Maiwanderung
In der gleichen Art wie vor 149 Jahren die Gründer der Maigesellschaft aus Freude an der Schönheit der Natur und Geselligkeit durch den Bruchwald gegangen sind, so wandern ihre Nachfolger noch heute am ersten Sonntag im Mai. Obwohl es nie niedergeschriebene Statuten gegeben hat, ist man der mündlichen Überlieferung immer treu geblieben. Der Ablauf der Wanderung vollzieht sich daher alljährlich in nahezu gleicher Weise:
Zu einem bei der letzten Maiversammlung festgesetzten Zeitpunkt am frühen Sonntagmorgen strömen von allen Seiten des Ortes die Mitglieder der Maigesellschaft zum Marktplatz in St. Hubert. Mit dem Glockenschlag wird das Lied "Der Mai ist gekommen" angestimmt und mit dem ersten Ton zieht die Maigesellschaft los. Auf Nachzügler, selbst wenn sie in Sichtweite sind, wird nicht gewartet. Unterwegs erlebt die Schar der Maibrüder den Sonnenaufgang und sieht, wie sich die Nebelschleier aus den Wiesen heben. Im Wald hört man die ersten Vogelstimmen den neuen Tag begrüßen. Manch zeitlos schöne Momente der erwachenden Natur bieten sich den frühen Wanderern.
Auf der Landwehrbrücke, bereits auf Stendener Gebiet, wird halt gemacht. Hier findet traditionsgemäß der "Appell" statt. Der Präsident stellt dabei fest, welche Mitglieder fehlen. Jeder Anwesende muss nachweisen, dass er in rechter Weise zum obligatorischen Kirchgang gerüstet ist. Er muss dem Präsidenten bei der Kontrolle entweder ein Gebetbuch oder einen Rosenkranz vorzeigen. Grundsätzlich hat jeder Maibruder den gesamten Weg zu Fuß zurück zulegen. Wer jedoch wegen hohen Alters oder aus anderen triftigen Gründen dazu nicht in der Lage ist, kann bis zur Landwehrbrücke oder sogar bis zur Kirche in Stenden gefahren werden. In früheren Jahren stand dazu ein Kutscher mit Pferd und Wagen, heute ein motorisiertes Gefährt zur Verfügung.
Da die Maibrüder zumeist rüstige Wanderer sind, treffen sie durchweg so früh in Stenden ein , dass sie vor der Messer zur Stärkung noch einen "Klaren mit Klöntsche " (weißer Korn mit einem Stück Würfelzucker) und/oder eine Tasse Kaffee trinken können. Anschließend geht es gemeinsam in die Frühmesse. Dieses Amt wir jedes Jahr für die lebenden und verstorbenen Mitglieder der Maigesellschaft gefeiert.
Nach der Messe müssen sich der Oberkoch und seine Gehilfen beeilen, um die große Zahl der für das Frühstück benötigten Enteneier zu kochen. Der Oberkoch, der neben dem Präsidenten und dem Schriftführer das wichtigste Amt in der Maigesellschaft bekleidet, genießt das besondere Vertrauen seiner Maibrüder. Von seiner Tüchtigkeit in der Küche hängt es nämlich im Wesentlichen ab, ob das Eierfrühstück gelingt und ob es den Maibrüdern gut schmeckt. Bei seiner verantwortungsvollen Tätigkeit unterstützen ihn als Hilfsköche die zuletzt eingetretenen zwei oder drei Maibrüder.
Die übrigen Maibrüder — mit Ausnahme des Präsidenten — dürfen die Köche bei ihrer Arbeit nicht stören. Wer trotzdem die Küche betritt, muss als Buße eine Runde Schnaps für die Köche ausgeben. Da die Köche über den Verbleib der ihnen ausgehändigten Enteneier nach dem Frühstück Rechenschaft ablegen müssen, legen es manche Maibrüder darauf an, ihnen unbemerkt Eier zu entwenden oder anderer Art unterzuschieben. Dies gelingt besonders dann, wenn die Aufmerksamkeit der Köche durch den zahlreichen Küchenbesuch mit Bußrunden gelitten hat. Die Küche kann dabei zwischenzeitlich einem Taubenschlag gleichen. Die Köche ihrerseits revanchieren sich bei den Dieben meist dadurch, dass sie ihnen zur allgemeinen Erheiterung ein ungekochtes oder anderweitig zubereitetes Ei auf den Frühstücksteller legen.
Solange in der Küche fleißig gewirkt wird, stärken sich die übrigen Maibrüder mit diversen Getränken. Nach etwa einer halben Stunde versammeln sich alle an der Frühstückstafel. Jedes Mitglied erhält aus der Hand eines der Köche fünf Enteneier. Dazu gibt es Weißbrot, Graubrot, Schwarzbrot, Kaffee, Milch und Zucker. Andere Beilagen sind traditionell nicht vorgesehen. Beim Tischgebet wird noch einmal der verstorbenen Maibrüder gedacht. Dann lassen sich alle Anwesenden das Frühstück gut schmecken. Sobald sich alle ausgiebig gestärkt haben, erfolgt der bereits zuvor erwähnte Bericht des Oberkoches mit der sich anschließenden "Eierkritik" durch die Beköstigten. Dabei ergeben sich bisweilen Scharmützel rhetorischer Art, die ebenfalls zur allgemeinen Erheiterung beitragen. Des Weiteren steht nach dem Gesang einiger Mailieder die Ehrung derjenigen Maibrüder in einer kurzen Ansprache durch den Präsidenten an, die einen runden Jubiläumsmaigang feiern. Anschließend werden die überzähligen Eier zu Gunsten der Kasse von einem dafür vom Präsidenten vorgeschlagenen Auktionator versteigert.
Der Präsident sorgt schließlich dafür, dass der Rückweg rechtzeitig von allen angetreten wird. Nach der Überlieferung hat sich die Maigesellschaft einen Zeitpunkt gesteckt an dem sie sich spätestens wieder auf St. Huberter Gebiet (Höhe Leverenzheim heute Via Stenden/Asylantenheim) befinden sollte. Dies sollte bis Punkt 13.00 Uhr geschehen sein. Gut gelaunt geht es in meist angeregter Unterhaltung gemeinsam durch die frühlingshafte Natur nach St. Hubert zurück. Oftmals stärken sich die Wanderer auf dem Rückweg in der Gaststätte "Zur Waldschänke" im Schadbruch bevor der Maispaziergang in irgendeinem Lokale des Heimatdorfes mit einem frohen "Auf Wiedersehen im nächsten Jahr" sein Ende findet.
Während die Geschichte der Maigesellschaft bis Mitte des vorigen Jahrhunderts durch mehrere Kriege und deren mittel —und unmittelbare Folgen für die Maibrüder geprägt waren, blicken wir jetzt schon auf 70 friedliche Jahre zurück. Der Weg am Aylantenaufnahmelager in der Via Stenden gemahnt uns jedoch daran , dass dies keine Selbstverständlichkeit in allen Teilen der Welt ist.
Die letzten Jubiläen zum 100. Und zum 125. Maigang fanden unter lebhafter Anteilnahme der St.Huberter und Stendener Bevölkerung entlang des Wanderweges Breitestrasse, Orbroicherstrasse, Stendener Strasse, Dorfstrasse Stenden und unter regem Besuch des Gottesdienstes in St.Thomas Stenden statt. Die Maibrüder würden sich freuen, wenn sich dies auch beim diesjährigen Jubiläum wiederholen würde.